Die wichtigsten News auf einen Blick – Unsere wöchentliche Presserevue der Kalenderwoche 35. Das autonome Viertel Exarchia in Athen unter Behördendruck, Hongkongs 14. Protestwoche im Überblick und E-Scooter die gar nicht ökologisch sind – Unsere Zusammenfassung der wichtigsten Nachrichten.
Athens einzigartige Hausbesetzerszene um Exarchia in Gefahr
Das Stadtviertel Exarchia im Norden der griechischen Hauptstadt besteht aus einem einzigartigen Mikrokosmos an Hausbesetzungen. Seit einigen Wochen im Visier des kürzlich gewählten Premierminister Kiriakos Mitsotakis, spitzt sich die Lage im Norden Athens zu. Mit seinem Wahlversprechen „Recht und Ordnung“ hatte er dem freien Viertel Exarchia den Kampf erklärt. Etwas, dass sich seit den Ausschreitungen von 2008 schwierig gestaltet, denn die griechischen Ordnungshüter sind dort seit dem Tod eines Minderjährigen durch Polizeigewalt und Vorwürfen der Diskriminierung nicht gerne gesehen.
The Guardian veröffentlichte einen Artikel über dieses anarchistisch-autonome Viertel. Das Kollektiv der Aktivisten um Void Network nennt dabei eine Zahl von insgesamt 23 Besetzungen in Exarchia selbst sowie weiteren 26 im angrenzenden Bereich. Ein kleines alternatives Ökosystem entstand über die Jahre, das von anderen selbstbestimmten Konzepten wie dem Freien Sozialraum Nosotros oder dem Free Shop Skoros begleitet wird. Umgeben von Universitätsgebäuden, beherbergt diese urbane Insel der freien Räume ein Solidaritätsnetzwerk, welches um die 1000 Flüchtlinge in Unterkünften beherbergt. Eine davon ist die Nottara 26, welche während 2015 zu den ersten Besetzungen gehörte, welche seine Türen Menschen aus aller Welt öffnete. Solche selbstverwalteten Häuser bieten dabei eine bessere Unterbringung, in der die Menschenwürde respektiert wird, als überfüllte Flüchtlingslager und gerade für Familien mit Kindern oder isolierte Minderjährige wichtig.
Vier Zwangsräumungen in einer Woche
Den 25. August, gegen 6 Uhr Morgens wurde das Spirou Trikoupi 17 geräumt. Ihre Odysee ist auf Ihrer Facebook-Seite zu verfolgen, in welcher sie berichten, dass die griechischen Behörden vorhaben, die Bewohner auf verschiedene Flüchtlingscamps in Griechenland zu verteilen. Dies trifft besonders die Kinder, welche in Exarchia zur Schule gingen, aber auch die ganze Gemeinschaft, da die verschiedenen Hausbesetzungen über solidarische Netzwerke verbunden sind. Von weiteren Zwangsräumungen betroffen waren ebenfalls die Besetzungen Transito, Rosa de fuego und Gare. Am Freitagmorgen, fünf Tage später, kam es zu einer Razzia im selbstverwalteten Haus K*VOX, während am Abend zuvor Polizisten Tränengas in den geschlossenen Räumen eines Bürgercafes einsetzten. Urbanauth bleibt für Euch dran!
Protestbesetzung durch Migranten im Norden von Paris -Für ein Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft
Anlässlich der sich seit Jahren degradierten Lage für isolierte Minderjährige, Familien oder auf sich gestellte Frauen hat der Verein Utopia56 für eine Woche einen Abschnitt des Parc de la Vilette im Norden von Paris besetzt. Insgesamt 150 Personen, darunter 63 Minderjährige, nahmen mit Unterstützung des Vereins an der Aktion teil. Das Camp der Migranten wurde am Mittwoch eine Woche nach Beginn der Besetzung von der Polizei geräumt. Die Protestbesetzung geschah im Rahmen eines Aufrufs zum Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft. Fehlende Sanitäranlagen und Räumen mit Privatsphäre geht dabei Hand in Hand mit der Ungewissheit und dem mentalen Stress in vorübergehenden Unterkünften untergebracht zu werden.
Der Verein Utopia56, welcher sich der Unterstützung von Migranten verschrieben hat, bietet ihnen Unterkünfte, Hilfe bei der Verteilung von Lebensmitteln, Schlafsäcken und Zugang zur Gesundheitsversorgung (Krankenhausaufenthalte). Mit 11.000 Mitgliedern (Stand Juni 2019) ist der Verein in Calais, Lille, Paris, Rennes, Toulouse und Tours vertreten.
Stadt und Mensch
Die Lage in Hongkong spitzt sich weiter zu
Vergangenen Samstag kam es in Hongkong wieder zu Massenprotesten und Zusammenstößen mit der Polizei. Am Sonntag haben hunderte Aktivisten Backsteine, Metallstangen und Felsbrocken auf die Schienen der Flughafen-Zuglinie geworfen. Der Zugverkehr zum Flughafen wurde kurzzeitig ausgesetzt, zu Flugausfällen kam es nicht. Die Polizei vertrieb die Demonstranten, die auch die Zufahrtsstraßen zu den Terminals mit Gepäckwägen verbarrikadierten, mit Wasserwerfern und Pfefferspray, wie die Zeit berichtete. Die seit Juni andauernden Proteste wegen des umstrittenen Auslieferungsgesetz an China, der Extradition-Bill, spitzen sich immer weiter zu und die chinesische Regierung sieht sich stark unter Druck gesetzt. Der Gesetzesentwurf ist mittlerweile eingefroren, doch noch nicht komplett vom Tisch. Und Peking reagiert mit scharfen Drohungen, wie die Tagesschau berichtete. Die Zentralregierung werde niemals zulassen, dass das Chaos auf unbestimmte Zeit anhält. „Wenn sich die Lage in Hongkong weiter verschlechtert und es zu einem Chaos kommt, das von der Regierung der Sonderverwaltungsregion nicht kontrolliert werden kann und das die Souveränität und Sicherheit des Landes gefährdet, dann wird die Zentralregierung nicht untätig bleiben“, sagte Xu Luying, die Sprecherin des Büros für die Angelegenheiten Hongkongs und Macaus. Gemeint ist hier ein laut Gesetz legales militärisches Eingreifen von Peking in Hongkong.
Stadt und Mobilität
E-Scooter nicht so umweltschonend wie gedacht
In den vergangenen Monaten sorgten E-Scooter in den Medien vor allem durch Verkehrsunfälle, in die sie verwickelt waren, für Schlagzeilen. Nun kommt heraus, dass sie nicht einmal ökologisch sind! Das behauptet zumindest heise online, die wiederum eine Studie der North Carolina State University zitiert. In der Studie wurden alle Emissionen inklusive Herstellung, Transport, Laden, Einsammeln und Entsorgung der Scooter berechnet. Und siehe da, bis zu 200 Gramm CO2 pro Meile verbrennen die Fahrzeuge – was mehr entspricht als es bei einem normalen Dieselbus mit hohem Auslastungsgrad der Fall ist.
Ein intelligentes Segel für Frachtschiffe
Frachtschiffe sind das Transportmittel, wenn es darum geht, große Warenmengen aus einer Metropole in eine Andere zu schicken. Dabei erstreckt sich der zurückgelegte Weg nicht selten über Kontinente. So werden etwa zwei Drittel des weltweiten CO2-Austoßes von Frachtschiffen verursacht, also mehr als eine Milliarde Tonnen pro Jahr. Außerdem fahren viele Frachtschiffe mit billigem Schiffsdiesel, dadurch entstehen zusätzlich Schwefel- und Stickstoffemissionen. Ein neues Segel soll diesen Umständen entgegenwirken und die Emissionen eines Frachters um 40 % senken. Das Segel soll bei rauer See seinen Betrieb automatisch einstellen und sich bei schönem Wetter automatisch zum Wind hindrehen. Das „Wingsail“ der spanischen Firma Bound4blue befindet sich momentan in der Entwicklungsphase und soll in fünf Jahren erste Gewinne abwerfen. Weitere Informationen zu dem Projekt finden sich in diesem Blogbeitrag von reset.org.
Die wichtigsten News auf einen Blick – Unsere wöchentliche Presserevue der Kalenderwoche 31/32. Vom heißesten Monat bis hin zu mehreren Räumungen von Hausprojekten – Unsere Zusammenfassung der wichtigsten Nachrichten.
Stadt und Umwelt
Juli 2019 heißester Monat West-Europas seit Messbeginn
Die WWA (World Weather Attribution) veröffentlichte schon am 02.08.19 einen Bericht über den Beitrag des Klimawandels zu den extrem hohen Temperaturen in einigen europäischen Ländern. So kletterten in Belgien und den Niederlanden in der letzten Juliwoche die Temperaturen zum ersten Mal überhaupt seit Beginn der Messungen über 40 °C. Im Vereinigten Königreich war die Dauer der Hitzewelle zwar kürzer, jedoch wurden auch dort historische Höchstwerte gemessen. Diese überstiegen noch die Temperaturen der verheerenden Hitzewelle im August 2003. Der Bericht sagt auch aus, dass ohne den menschen-gemachten Klimawandel im selben Zeitraum in Westeuropa die Temperaturen etwa um 1,5 – 3 °C kälter gewesen wären.
Geplante Steuer auf CO2-Emissionen verfassungswidrig
Wie Focus Online am 08.08.19 berichtete, überlegt der deutsche Bundestag eine Steuer auf CO2 einzuführen, um die Emissionen in den Griff zu bekommen. Allerdings haben nun die Juristen des Bundestags herausgefunden, dass diese Einführung verfassungswidrig wäre. Um eine solche Steuer einzuführen wäre eine Änderung des Grundgesetzes notwendig. Dies ist nur mit einer 2/3 Mehrheit möglich. Widerstand kommt aus Reihen der FDP, so meint die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Bettina Stark-Watzinger, der „Wirtschaftswoche“ gegenüber, eine Ausweitung des EU-Emissionshandels sei „eindeutig die bessere Lösung“. Auch die Union ist gegen eine CO2 Steuer. Sebastian Brehm, Berichterstatter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Energiebesteuerung will lieber „positive Anreize setzen“ anstatt „die Bürger über eine zusätzliche Besteuerung zu bestrafen“. Hierbei spricht er von Steuerbonussen, beispielsweise für den Austausch alter Heizungen oder für den Umstieg auf emissionsarme Autos.
Black Rock verliert ca. $90 Milliarden wegen Investitionen in fossile Energieträger
The Guardian veröffentlichte am 31.07.19 ein Artikel, der über die nicht nachhaltige Investitionsstrategie des weltweit größten privaten Vermögensverwalters Black Rock berichtete. BlackRock, ein Konzern der auch in Deutschland an vielen DAX-Unternehmen größter Anteilseigner ist, hat im letzten Jahrzehnt ca. $90 Milliarden verloren. Dieser Verlust entstand, weil der Konzern finanzielle Risiken bei Investitionen in fossile Brennstoffe außer Acht gelassen hatte. Die Investitionen in große Ölfirmen, wie ExxonMobil, Chevron, Shell und BP waren für ein Großteil der Verluste verantwortlich. Nimmt man alle Fonds von BlackRock zusammen ergibt sich eine Wirtschaftskraft größer als die Japans, der drittstärksten Volkswirtschaft der Welt. So meint Tim Buckley, ein Direktor der IEEFA und Co-Autor des Berichts, BlackRock’s gewaltiges Gewicht bedeutet die Firma solle Verantwortung für die Führung bei der Klimakrise übernehmen. Denn bislang hat die Firma es verpasst ein Wachstum durch Investitionen in saubere Energien zu erreichen.
Stadt und Mensch
Warnung aus Peking in Richtung Hongkong
Inzwischen befindet sich die Stadt seit nunmehr 2 Monaten im Protestzustand und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Die Proteste gelten als die umfangreichsten seit dem 4. Juni 1989 in Peking. Damals hatte die Regierung gewaltsam eingegriffen. Am Dienstag hatte die Tagesschau berichtet, das Peking eine deutliche Warnung gegenüber gewalttätigen Demonstranten verlauten ließ. So sagte der Sprecher der für Hongkong zuständigen Behörde, Yang Guang, die gewalttätigen Demonstranten sollten nicht die Macht von Polizei und Justiz in der chinesischen Sonderverwaltungszone unterschätzen. Auf die Frage, ob sich die chinesische Volksbefreiungsarmee in die Proteste einmischen werde, meinte der Sprecher, die Armee sei stark und werde jede Ecke Chinas verteidigen sich dabei aber an das Gesetz halten. Außerdem sagte er, die Hongkonger Behörden seien in der Lage die Situation unter Kontrolle zu bringen. Wir bleiben dran.
Die Elster in Köln wurde geräumt
Die Besetzung der Elster 230 an der Vogelsangerstraße 230 in Köln wurde von der Polizei geräumt (3. August 2019). Das leerstehende Gebäude gehört der Deutschen Bahn und befindet sich im Viertel Ehrenfeld in direkter Nähe zur Kolbhalle, ein von Künstlern besetztes Gelände. Die Besetzung der Elster fand am 19. Juli statt. Schnell bildete sich die Idee ein queer-feministisches Zentrum zu etablieren. So sollte Agisra e.V, eine Beratungsstelle für geflüchtete oder von Gewalt betroffene Frauen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt bekommen, während die Wohnräume von obdachlosen Frauen bezogen wurden. Am selben Tag wurde in Münster die „Zentrale“ geräumt, einem besetzten Gebäude am alten Güterbahnhof.
Paris – 150 Menschen plötzlich obdachlos
In Saint-Ouen (93) einer Banlieue von Paris wurden am 30. Juli im Laufe der Räumung einer besetzten Halle 150 Flüchtlinge lateinamerikanischer Herkunft auf die Straße gesetzt. Das Gebäude liegt gegenüber des berühmten Fußballstadiums Doctor Bauer und beherbergt die Red Stars, einen Kultverein, welcher mit dem Hamburger St.Pauli vergleichbar ist. Die Stadt hatte das Gelände zum Anfang des Jahres gekauft. Gegenüber der Zeitung Le Parisien wies der Bürgermeister jegliche Verantwortung von sich und verweigert den Dialog mit den nun obdachlosen Personen.
Frankreich / Paris. Während der Gilets-Jaunes Bewegung kamen immer wieder Journalisten ins Kreuzfeuer der Gewalt und wurden an ihrer Arbeit gehindert. Nicht nur durch Demonstranten, aber ebenso durch Polizeibeamte. Der Fall von Gaspard Glanz 2019.
Die andauernden Proteste der Gilets Jaunes setzen die französische Regierung zunehmend unter Druck. Nach der Ankündigung eines ersten Ultimatums (Akt 18 / 16.März) an den Präsidenten Macron, waren gewaltsame Ausschreitungen bereits Wochen zuvor absehbar. Doch ein weiterer vorläufiger Höhepunkt der Eskalation in Frankreichs hitzigem politischen Klima wurde am 20.April (Akt 23) erreicht. Die französische Führung unter Macron, welche seit Dezember Teilnehmer an den Gilets Jaunes-Protesten nicht nur am Einreisen in die Landeshauptstadt Paris hindert, sondern diese auch – mit zum Teil grotesken Begründungen – verhaftet.
Auch Journalisten geraten vermehrt in das Visier des Staates. Auffällig dabei ist, dass immer wieder Übergriffe der Polizei auf unabhängige Journalisten stattfinden.
Eine besonders kritische Etappe wurde dabei während dem 23. Akt der Gelben Westen erreicht, als sieben Journalisten in Toulouse, sowie ungefähr zwölf Weitere in Paris an ihrer Arbeit gehindert wurden. Während Wasserwerfer oder Flashballwerfer gezielt auf Presseleute gerichtet wurden, trafen auch Splitter von Dispersionsgranaten und Schlagstockhiebe die unabhängigen Berichterstatter. Am aufsehenerregendsten waren jedoch die temporären Inhaftierungen zweier Journalisten: Alexis Kraland und Gaspard Glanz.
Wenn die Polizei dich beim Vornamen kennt
„Hallo Gaspard“, grüßte der Kommissar den Journalisten Gaspard Glanz an diesem Samstag auf dem Platz der République im Norden von Paris.
Kurze Zeit später bekommt der Gründer von Taranis News eine Granate ans Bein geworfen, welche sein Hosenbein anbrennt.
Wütend läuft dieser auf die Gruppe von Polizisten zu und fordert den Kommissar zu sprechen. Im folgenden Szenario wird ein Polizist ihm gegenüber handgreiflich und schubst ihn nach hinten. Daraufhin zeigt er diesem den Stinkefinger und wird kurz darauf von vier Polizisten gewaltsam in Gewahrsam genommen. Die Festnahme welche von Hors Zone Press gefilmt wurde, endet damit, dass die Polizisten mit ihren Schlagstöcken um sich schlagend, die restliche Versammlung der Journalisten um das Geschehen herum auflösen.
Der Fall Gaspard Glanz bedarf dabei besondere Aufmerksamkeit. In der Branche anerkannt als Video-Journalist dokumentiert er seit längerem Sozialbewegungen in Frankreich und ist regelmäßig auf verschiedenen Demonstrationen anwesend. Mit seiner Produktionsfirma Taranis News wurde er durch seine Berichterstattung während den Arbeitsgesetzten, Notre Dames des Landes und einer Reportage über den „Jungel von Calais“ bekannt. Seine Reportage handelten ihm diverse Einträge in erkennungsdienstliche Karteien, wie dem „Fiche S“ (Staatssicherheit) und „Fiche J“ (Staatliche gesucht) ein. Jedoch ist er nicht staatlich gesucht, sondern fungiert nach wie vor in dieser Kartei, trotz einem Antrag zur Aufhebung dieser Kennzeichnung.
Ein Geburtstag in der Zelle für… ?
Eine Bekanntheit welche ihm eine Freiheitsberaubung von über 48 Stunden und einen Geburtstag in der Gefängniszelle einhandelte. Am Montag den 22.04.2019 demonstrierten deswegen eine Handvoll von Journalisten, sowie Privatpersonen für seine Freilassung vor dem Kommissariat des 12. Arrondissements in Paris. Wir waren vor Ort. Unter Auflage wurde er am Abend freigelassen: Verbot am 1. Mai, sowie an Samstagen in Paris zu erscheinen und zu filmen. Am Montag den 29.04.2019 wurde dieses Verbot jedoch vor Gericht durch seine Anwälte erfolgreich angefochten. Doch allein das Aussprechen eines Bericht-Verbots über Demonstrationen ist in einigen anderen europäischen Ländern undenkbar.
Die Grundlage für seine Festnahme ist dabei der Gesetzesparagraph „Missachtung von Personen, die über öffentliche Autorität verfügen“, sowie „Teilnahme an einer Gruppierung zur Begehung von Straftaten oder Degradierungen“. Während es zu dem Ersten nichts hinzuzufügen gibt, wirft der letzte Vorwurf beträchtliche Fragen auf.
Journalisten im Kreuzfeuer autoritärer Gesetze?
Raphael Kempf, einer der Anwälte von Gaspard Glanz, weist in seinem Interview mit der Revue Ballast darauf hin, dass die Gesetzgebung in Frankreich in den letzten Jahre nicht nur dem Demonstrationsrecht geschadet hat. Auch Journalisten bekommen die Rechtsauslegung gegen ihren ursprünglichen Zweck zu spüren.
Im Jahr 2010 unter Sarkozy wurde der Article 222-14-2 in die Strafprozessordnung aufgenommen. Dieser verbietet die Teilnahme an einer Gruppierung zur Begehung von Straftaten. Ursprünglich im Kontext der Ausschreitungen in den Banlieues erdacht, sollte dieser das Zusammenkommen von Jugendlichen verhindern, welche möglicherweise Krawalle verursachen könnten. Der Paragraph erinnert dabei stark an den Film „Minority Report“, in welchem anhand einer Vorhersage Menschen verurteilt werden und steht in einem direkten Gegensatz zur Unschuldsvermutung:
„Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig“
Neun Jahre später ist es dieser Paragraph, welcher Gaspard Glanz in die Gefangenensammelstelle führt. Und nebenbei gegen eine große Anzahl an Demonstranten der Gelb-Westen Bewegung angewendet wird, um zu verhindern, dass diese ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen können. In der Regel passiert dies in der Kombination mit Personenkontrollen und wird verhängt, wenn verdächtige Gegenstände vorgefunden werden. Als diese können bereits Skibrillen, Helme und Atemschutzmasken gelten. Dabei wird normalerweise ein und dem selben Muster gefolgt. Ein verdächtiger Gegenstand wird vorgefunden, welcher den Grund gibt, die Person in Gewahrsam zu nehmen. 24 Stunden später, nachdem die Demonstration zu Ende ist, werden diese dann wieder freigelassen.
Das Gesetz gegen Unruhestifter, im Volksmund unter dem Namen „Loi Anti-Casseur“ bekannt, wurde nach den gewaltsamen Ausschreitungen im Kontext der Gelb-Westen-Bewegung vom französischen Staat am 10. April 2019 verabschiedet.
So soll Personen der Zugang zu einem definierten Raum verboten werden, falls diese sich einer Körperkontrolle verweigern oder im Besitz von Gegenständen sind, welche per se als potenzielle Waffen betrachtet werden können. Es wird außerdem eine Kartei angelegt für Personen, welche einem Demonstrationsverbot unterliegen. Dies ist dabei nur auf ein klar definiertes Gebiet eingeschränkt, kann jedoch für die Personen sehr ärgerlich sein. So musste zum Beispiel Gaspard Glanz für den Akt 24 (27. April 2019) auf eigene Kosten Paris verlassen, unter Drohung von weiteren Konsequenzen im Falle eines Nichtbeachtens. Doch auch das Verbot an einer Demonstration teilzunehmen, sowie das Vermummungsverbot ist kritisch zu betrachten. Denn während in anderen EU-Ländern die Benutzung von Gummigeschossen verboten ist, sowie Dispersionsgranaten nur bei äußerst gefährlichen Situationen angewendet werden, so sind sie in Frankreich zum Alltag geworden. Schutzhelme und Atemschutzmasken, welche die Demonstranten vor den schlimmsten Auswirkungen schützen, werden damit kriminalisiert. Ein Sachverhalt der auch Journalisten trifft, welche diese Ausrüstungen zum Schutz ihrer Gesundheit benötigen.
Alexis Kraland, Journalist aus Paris, folgte den Gelbwesten am selben Samstag in die U-Bahn Station der Gare du Nord, dem Nordbahnhof von Paris. Dort wurde er von Polizisten umringt und dazu aufgefordert seine Kamera auszuhändigen. Als er sich weigerte, pressten sie ihn gegen die Wand und legten ihm Handfesseln an. Auf Nachfrage, warum die Polizei denn seine Kamera haben möchte, antworteten diese, dass sie im Auftrag der Staatsanwaltschaft handeln und die Kamera eine Waffe darstellen könnte. Ein Polizist schlug ihm auf die Hand, mit der er seine Ausrüstung festhielt. Nach Drohung der Polizei auch die Ausrüstung der umstehenden Fotografen zu beschlagnahmen, verließen diese den Ort des Geschehens.
Anschließend wurde seine Tasche durchsucht, wo die Polizei Reste von Cannabis in seinem Grinder fand. Zuerst sagten die Polizisten der Grund für die Verhaftung Alexis Kralands sei die Rebellion gegen das Herausgeben seiner Kamera. Auf dem Revier wurde die Begründung auf „Besitz von Betäubungsmitteln“ geändert. Offenbar wurde keiner der beiden Gründe von der Staatsanwaltschaft akzeptiert, denn auf Nachfrage von CheckNews/Liberation sagte die Pariser Staatsanwaltschaft aus, der Grund sei „Beteiligung an einer Gruppe im Hinblick auf Gewalt oder Erniedrigung“. Nach acht Stunden in Haft wurde Kraland freigelassen, allerdings wurde seine Schutzausrüstung von der Polizei zuvor zerstört.
Ist die Pressefreiheit in Frankreich gefährdet?
Wenn man sich den von der Staatsanwaltschaft verhängten Platzverweis gegen Glanz ansieht, dann ist fraglich was ein Stinkefinger mit dem Dokumentieren öffentlicher Protestbewegungen zu tun hat. Aktuell scheint die französische Regierung keine unabhängige Berichterstattung zu dulden.
Die Bewegung der Gelbwesten, welche zu einer ernst zu nehmenden Gesellschaftsbewegung gewachsen ist, scheint die Folge der Politik der letzten Jahrzehnte in Frankreich zu sein: Eine machtlose Unterschicht, die ausdauernd und mit Wut gegen einen repressiven, die Eliten fördernden Führungsstil kämpft.
Ob sich die Beliebtheit des neoliberalen Macrons steigert, wenn er sich nun auch noch die unabhängige Presse zum Feind macht ? In sozialen Medien werden sogar Vergleiche zu autokratischen Systemen gezogen.
Auf jeden Fall stellt sich langsam die Frage, ob die Pressefreiheit in Frankreich noch seine Gültigkeit besitzt oder ob sie bereits akut gefährdet ist. Die Schutzausrüstungen von Berichterstattern zu zerstören und Journalisten ohne triftigen Grund stundenlang in Gewahrsam zu nehmen, sind jedenfalls Indikatoren für ein Schwinden des Rechts auf freie Berichterstattung.