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Am Freitagabend des 23. November 2018 stürmten mehrere Dutzend Polizeikräfte den Innenhof des autonomen Berner Kulturzentrums Reitschule. 15 Männer erhielten eine Anzeige – 13 aufgrund des Verdachts auf Drogenhandel und zwei weitere, weil sie den Einsatz behindert haben sollen. Unter den Männern befanden sich neun Nigerianer und je ein Iraker, Syrier, Sudaner, Marokkaner und Äthiopier. Verhaftet wurden schließlich vier der Männer, jedoch wegen illegalen Aufenthalts in der Schweiz.

Die Berichterstattung der beiden Parteien könnte nicht unterschiedlicher sein: Auf der einen Seite die Polizei, die von mehreren Personen spricht, welche sie bedrängt und im Einsatz behindert hätten. Eine unbekannte Person hätte sogar vom Balkon aus mit einer Steinschleuder auf sie geschossen. Die Mediengruppe der Reitschule hingegen behauptet, dass mindestens eine Person durch Gummigeschosse verletzt worden sei. Darüber hinaus sei der in der Reitschule befindliche Restaurantbetrieb „Sous le Pont“ stundenlang beeinträchtigt worden.

Dicke Luft herrschte aber schon zuvor. Bereits am 1. September 2018 kam es zu Ausschreitungen zwischen der Polizei und Besuchern der Reitschule, wo die Polizei laut ihren eigenen Angaben mit Wasserballons beworfen und mit Feuerwerkskörpern, Eisenstangen und Flaschen angegriffen worden sei, nachdem sie in Vollmontur bei der Reitschule patrouilliert hatte. Die Reitschüler hingegen sagen aus, dass mit Gummischrot auf Kopfhöhe auf sie geschossen wurde. Das Gummischrot sei mit Smileys und anderen Beschriftungen versehen worden, was den Verdacht einer geplanten Eskalation untermauere, schreibt die Mediengruppe der Reitschule. So etwas mache die Polizei nicht, hält Polizeisprecherin Jolanda Egger dagegen, denn das würde ihren Grundsätzen widersprechen. Der Einsatz würde dahingehend von der Polizei überprüft werden.

Das nachfolgende Video zeigt eine den Einsatz filmende Person, die mit Pfefferspray besprüht wurde:

Ob der Verdacht einer geplanten Eskalation berechtigt ist? Die Polizei selbst spricht von ihrer Strategie als einer „präventiven Präsenzmarkierung“, die sie aufgrund von sich häufenden Fällen von schweren Körperverletzungen in städtischen Ausgehvierteln als für notwendig erachtet. 

Laut Reto Nause, Sicherheitsdirektor der Stadt Bern und CVP-Politiker, ginge es nicht an, der Reitschule schlicht aus Angst vor Eskalation aus dem Weg zu gehen. „Rechtsfreie Räume darf es nicht geben“, konstatiert er und betont, dass auch nach Ausschreitungen an der Strategie der präventiven Präsenz festgehalten würde. Nause erhielt übrigens am selben Abend der letzten Vorkommnisse am 23. November, als er nach einem Konzert scheinbar zufällig auf dem Vorplatz flanierte, Hausverbot in der Reitschule. Worauf er mit Unverständnis reagiert: Schließlich würde der Staat das Kulturzentrum subventionieren, und überhaupt sei die Tatsache, aus einem öffentlichen Raum weggewiesen zu werden, ein Widerspruch. Dagegen kontert die Reitschule, dass das Stürmen eines Restaurantbetriebs auch nicht gerade von Toleranz und Dialog zeuge.

Im Zuge der Ereignisse wurde nicht zum ersten Mal der Wunsch nach Bodycams laut: die Minikameras am Körper der Polizisten sollen für transparentere Einsätze sorgen. Das Filmen im rechtlichen Rahmen ist  heute im Kanton Bern bei öffentlichen Veranstaltungen lediglich erlaubt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es zu strafbaren Handlungen kommen könnte, vorhanden sind (so zum Beispiel bei unbewilligten Kundgebungen). Erst im April war eine unbewilligte Afrin-Kundgebung von der Polizei aufgelöst worden. Daraufhin hatte am 30. August 2018 das Berner Stadtparlament gegen den Willen Nauses eine unabhängige Untersuchung angeordnet.

Wer auch immer den ersten Stein geworfen haben mag: In der Bevölkerung gehen die Meinungen zum autonomen Kulturzentrum auseinander. „Schließt den Laden“, fordern diejenigen, welche in den Reitschülern vor allem nichtsnutzige Krawallbrüder sehen. Differenziertere Meinungen aber warnen vor der Verlagerung des Problems des Drogenhandels. Und was ist mit dem Straßenstrich neben dem Bundeshaus? Darüber würde auch niemand ein Wort verlieren, so die zynische Entgegnung eines anonymen Users. Die bisherigen Abstimmungsergebnisse sprechen eine deutlichere Sprache: Bereits fünf Mal hat die Berner Stimmbevölkerung über die Abschaffung des Zentrums abgestimmt, jedes Mal war sie dagegen. Das letzte Mal wurde der Verkauf des Gebäudes 2010 mit einer Mehrheit von 68.4% Stimmen abgelehnt. Ein klares Bekenntnis zu Toleranz und kultureller Vielfalt, freute sich Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP). 

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