Frankreich. Der verhüllte Triumphbogen von Paris. Im posthumen Projekt von Christo und Jeanne-Claude, wurde der lebenslange Traum des Verhüllungskünstlers und seiner Frau verwirklicht und der Arc de Triomphe verhüllt. Urbanauth war für euch vor Ort!
Der verhüllte Triumphbogen von Christo: Über das Bauwerk
Gefürchtet von Autofahrern, geliebt von Touristen. In der Mitte eines riesigen, mehrspurigen Kreisverkehrs steht der Arc de Triomphe.
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Der Arc de Triomphe ist ein Monument in Paris. 1806 begann unter Napoleon den 1. die Bauarbeiten. Die Fertigstellung sollte dabei über 30 Jahre dauern. Der Architekt Jean-Francois Chalgrin erdachte dieses Meisterwerk von ungefähr 50 Metern Höhe, 45 Metern Länge und 22 Metern Breite. Doch zu seinem Tode erstreckte es sich erst auf fünf Meter. Zwischenzeitlich musste die Baustelle auf Eis gelegt werden. Schlussendlich wurde der Triumphbogen 1836 fertiggestellt. In den urbanistischen Bedenken von Haussmann wurde der Triumphbogen zu einem zentralen Ort, zu welchem manche der ikonischsten Boulevards der französischen Hauptstadt führen.
Ursprünglich als Siegestor für die gewonnene Schlacht von Austerlitz konzipiert, wird der Arc de Triomphe inzwischen dazu genutzt, den Sieg im 1. Weltkrieg zu kommemorieren. 1920 wurde das „Grab des unbekannten Soldat“ eingeweiht. Ab 1923 wird dort die „Flamme du Souvenir“ („Flamme des Erinnerns“) entzündet. Der Arc de Triomphe ist ein Wahrzeichen des französischen Nationalstolzes. Während den Ausschreitungen in 2018 der Gilets-Jaunes-Bewegung kam es zu Bauschäden am Monument. Nun, 2021 wurde das Monument komplett verhüllt!
Das posthume Projekt von Christo: der verhüllte Triumphbogen
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Christo welcher am 31. Mai 2020 in seiner Wohnung in New York City verstarb, hatte mit seiner Frau Jeanne-Claude einen letzten Traum. Den Arc de Triomphe von Paris zu verhüllen. Diese Idee kam ihnen bereits 1961 und wurde kontinuierlich fortgeführt. 2019 erhielt Christo sogar vom französischen Präsidenten Macron grünes Licht für die Umsetzung. In dem posthumen Projekt wird der Wunsch des Künstlers vom 18. September bis zum 3. Oktober 2021 realisiert. Für Christo und Jeanne-Claude war es immer wichtig, ihre Kunst frei und für alle zugänglich zu machen. Dies ist ihnen mit ihrem posthumen Projekt gelungen.
Der Arc de Triomphe wurde in 25.000 m² recycelbarem blau-silbernem Polypropylengewebe gehüllt. Die Kosten des Projektes wurden dabei ausschließlich durch Eigenfinanzierung und ohne öffentliche Gelder finanziert. Hierzu wurden unter anderem Werke von Christo verkauft. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 14 Millionen Euro und ungefähr 1000 Menschen waren in der Umsetzung involviert. Nichtsdestotrotz bleibt die Aktion dennoch umstritten.
Federführend hinter der Umsetzung des posthumen Projektes ist Vladimir Yavachev. Für ihn ist das Herzstück von Christos und Jeanne-Claude’s Arbeit, eine, die der „reine Ausdruck ihrer Freiheit“ ist. Das Projekt wurde mithilfe der Stadt von Paris und dem Centre Pompidou umgesetzt.
Christo’s Vorstellung vom verhüllten Triumphbogen beschrieb er wie folgt: „Es wird wie ein lebendiges Objekt sein, das sich im Wind bewegt und das Licht reflektiert. Die Falten werden sich bewegen und die Oberfläche des Denkmals wird sinnlich werden. Die Menschen werden den Arc de Triomphe anfassen wollen.„
Für die regierende Bürgermeisterin von Paris Anne Hidalgo ist das Werk eine Hommage an den kreativen Prozess und an die künstlerische Freiheit, die die traditionellen Grenzen der Bildhauerei und der Architektur überschreiten, um ein lebendiges Kunstwerk zu schaffen, das für jeden zugänglich ist.
Wirken und Schaffen von Christo und Jeanne-Claude
Der Künstler Christo ist 1935 in Gabrovo, Bulgarien geboren. Sein Leben ist von Reisen geprägt. So brachte ihn sein Weg unter anderem nach Prag, Wien, Genf, Paris und schlussendlich New York. In Paris lernte er seine Frau Jeanne-Claude Denat de Guillebon kennen. 2009 verstorben, spielte sie eine wichtige Rolle im Leben und Schaffen von Christo.
Die Verhüllung von Objekten, als Form urbaner Kunst.Christos Projekte wollten das Monumentale verdecken. Wenn auch nur zeitlich begrenzt, aber das Große musste sich dem Blick entziehen. Seine erste Installation mit seiner Frau Jeanne-Claude verwirklichte er 1961 in Köln („Dockside Packages“ & „Stacked Oil Barrels„). Eine seiner ersten Arbeiten, welche Aufmerksamkeit erlangte war die „Wall of Oil Barrels – The iron curtain“ in der Rue Visconti in Paris (1961-1962). Nach erfolglosem Versuch eine Genehmigung von den Behörden zu erhalten, wird das Projekt illegal durchgeführt. Mit Öltonnen errichtet Christo eine Barrikade auf einer Straße. Nachfolgend eine Liste der wichtigsten Werke von Christo und Jeanne-Claude:
„Wrapped Coast“ in der Nähe von Sydney (1968-1969)
In Paris ist der Urbanismus in seiner historischen sowie zeitgenössischen Handhabung auf das Wirken einer Person zurückzuführen. In Frankreich unternahm der Baron Georges-Eugiène Haussmann (1809-1891) das ambitionierte Infrastrukturprojekt Paris zu restrukturieren. Der von 1853 und 1870 als Präfekt der Stadt regierende Baron unternahm dabei die Herkulesaufgabe, die französische Hauptstadt zu einer einheitlichen Metropole zu formen. Er verkörpert dabei die Wendezeit einer Stadt zwischen Mittelalter, Renaissance und dem sich entwickelnden Industriezeitalter… und setzte einen Grundstein für die Stadtplanung “à la francaise”. Ihm sind unter anderem die ikonischen Straßenzüge, Boulevards und Hausfassaden von Paris zu verdanken. Doch was prägte die stadtplanerischen Bedenken dieser Zeit und welchen Einfluss übten diese auf die Architektur aus?
In Paris: der französische Urbanismus „à la francaise„
Die Schwerpunkte zur Zeit von Hausmann lagen dabei auf Sicherheit, Verkehr und Hygiene. Zum einen verschwanden die engen Straßen und machten Platz für Transportachsen. Damit sollten Aufstände und Unruhen innerhalb des Stadtgebietes erschwert werden. Zum anderen sollte dieser Eingriff die hygienischen Lebensbedingungen in Paris verbessern und durch die Erweiterung der Kanalisation und Schaffung von Grünflächen die Ausbreitung von Krankheiten verhindert werden. Die grünen Lungen von Paris, welche das Bois de Boulogne und der Parc de Vincennes sind, wurden zu dieser Zeit in den Stadtraum integriert.
Der französische Urbanismus: Haussmanns Einfluss auf die Baukultur von Paris
Als räumliche Unterscheidung dient die Unterteilung von rechts und links der Seine, dem Fluss der Paris durchfließt. Die Straßenzüge und Boulevards wurden zu einer netzartigen Struktur umgeordnet. Diese fungieren seitdem als Verbindungspunkte zwischen den wichtigen Orten, wie öffentlichen Plätzen, Parks und Monumenten. Die breiten Boulevards ermöglichten dabei auch den unterirdischen Bau der Katakomben und Kanalisationsanlagen. Später vereinfachten sie den Bau der Metrotunnel. Zwischen 1852 und 1868 wurden dabei bis zu 18.000 Gebäude zerstört und 60 Prozent der Stadtfläche wurde umgestaltet.
Die Architekturstile, die in der Haussmann-Ära entstanden sind, werden dabei in drei wesentliche Epochen unterteilt. Zwischen 1850 und 1870 entstanden die klassichen Haussmann’schen Gebäude. Sie waren vier bis fünf Stockwerke hoch und wurden im Laufe der Epoche auf sechs erweitert. Ab diesem Zeitpunkt begannen die Architekten ihre Bauwerke zu signieren. Der Post-Haussman’sche Stil von 1870 bis 1895 wurde von urbanen Unruhen begleitet. Die Fassadengestaltung blieb funktionell und nur nützliche Strukturen wurden erhalten. Ab dem Beginn der 90er zeichnet sich der Architekturstil wieder zunehmend durch seinen Detailreichtum aus. Schlussendlich leitete sich mit der Wende ins 20. Jahrhundert (1895-1914) auch das Ende der Haussmann’schen Ära ein.
Die großflächige und orchestrierte Entwicklung von großen Flächen ist zu einer französischen Spezialität geworden. Urbanauth hatte in seinem Artikel über das frisch fertiggestellte ökologische Stadtviertel Clichy-Batignolles im Norden von Paris bereits darauf hingewiesen. Aber auch der Bau der Ringautobahn, dem Péripherique in den 60er, 70er und 80er-Jahren verlangte eine großflächige Auseinandersetzung, um den steigenden Bedarf an Mobilität nachzukommen.
Anekdote: Vom Höhenflug in die Imobilienblase
1873 trat die Ernüchterung mit einer Immobilienblase ein. Die gestiegenen Wohnkosten führten zum Fortzug der Arbeiter aus dem Zentrum. Und auch der niedergeschlagene Aufstand der Pariser Kommune von 1871, hatte seine Wunden hinterlassen. In Folge der Blutwoche „la semaine sanglante“ wurde die Stadt mithilfe der Preußen zurückerobert. Die Geschehnisse um die Pariser Kommune entstand dabei infolge einer sich verändernden Umgebung, aber auch den sozialen Ungerechtigkeiten und Hungersnöten dieser Zeit. Bleibende Errungenschaften war die Teilnahme der Frauen im politischen Diskurs und Bünden. Revolutionärinnen, wie die Lehrerin Louise Blanc und andere Mitstreiterinnen, legten dabei wichtige Grundsätze für die Frauenrechte und ihrer Emanzipation von der industriell -patriarchen Gesellschaft.
Im aktuellen Zeitgeschehen traten die steigenden Mieten und sozialen Ungleichheiten der französischen Gesellschaft mit der Sozialbewegung der „Gilets-Jaunes“ wieder in den Vordergrund. Zugleich befindet sich die Hauptstadt Frankreichs vor der Schwelle zum großen Paris, dem „Grand-Paris„. Die olympischen Spiele 2024 wirken dabei als Katalysator mit der Fertigstellung von neuen Bahnhöfen, Wohngebäuden und Sporteinrichtungen. Im Fokus der stadtplanerischen Bedenken: Mobilität, Dichte und Lebensstandards. Die Entwicklungen sind im vollen Gange und das Stadtbild im raschen Wandel.
Haussmanns Plan, die Stadt nach innen sicherer zu machen, ist umstritten. Dennoch leistet er einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der Metropole und dessen einsetzende Urbanisierung. Ohne den Baron Haussmann würde Paris nicht so aussehen, wie es dies heute tut!Doch wie sieht die Hauptstadt Frankreichs morgen aus?
Literaturquellen: Grundbegriffe der Ästhetik (Urbanismus), Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Band 6. Herausgegeben im Verlag J.B. Metzler unter der Leitung von Dieter Kliche. 978-3-476-02359-9
Wir schreiben das Jahr 2026 und schauen auf den turbulenten Beginn der Zwanziger Jahre zurück.
2026 hat sich unsere urbane Lebenswelt weiterentwickelt. Die Bedeutung von Automatisierungsprozessen, der Einsatz von „Nichen- Künstliche Intelligenzen“ in unserem Alltag, wie z.B. Smart-Homes / -Cities, sowie im digitalen Raum führt zu starken Debatten. Das Zeitalter der Kommunikation, welche mit dem Internet anbrach, revolutionierte auch unsere städtische Organisierung. Kommunikation ermöglicht Partizipation. Mit holistischen Ansätzen in der Prozessgestaltung wird umso mehr versucht, so viele Bevölkerungsgruppen wie möglich zu erreichen und in die Stadtgestaltung miteinzubeziehen. Die Digitalität hat ihren Anschluss zur Urbanität erfolgreich gemeistert.
Rückblickend auf 2021 hat die Corona-Pandemie unsere globale Gesellschaft verändert und die Digitalisierung vorangetrieben. Homeoffice wurde schlagartig normalisiert. Lustigerweise geschah dies in Frankreich mit einem Monat Vorsprung. Da dort 2019 Dezember-Januar Generalstreike stattfanden, welche starke Auswirkungen auf die Mobilität der Bürger ausübten, machten viele Bürger bereits die Erfahrung vom „Télétravail“, dem französischen Homeoffice. Die anschließenden Lockdown-Restriktionen blieben jedoch allen Bürgern lange in Erinnerung.
Doch schlussendlich überwogen die längerfristigen Entwicklungstrends mit dem Grand-Paris, seinem Grand-Paris Express und den Écoquartiers, nachhaltigen Stadtvierteln.
Wird das Grand Paris der Zukunft und Stadt von Morgen von der Corona-Pandemie lernen?
Die Nebeneffekte der Pandemie (2019-2021) haben zu neuen Erkenntnissen geführt und Innovation vorangetrieben. Auch wenn die Regierungen weiterhin ihren Klimazielen hinterhinken, Umweltkatastrophen seitdem in regelmäßigen Zyklen ganze Regionen der Erde verwüsten und Energie, sowie Ressourcen-Politik im Vordergrund steht; so beginnt der nachhaltige Städtebau der letzten Jahrzehnte Früchte zu tragen.
Den größten urbanen Wandel kennt dabei der Ballungsraum von Paris in der kleinen Krone von Paris. Das Grand-Paris besteht aus den Departements Paris (75) im Zentrum, den Hauts-de-Seine (92), der Seine Saint-Denis (93) im Norden und dem Val de Marne (94) im Norden. Diese wird als „Petite Couronne“ („kleine Krone“) bezeichnet. Die „Grande Couronne“ welche sich wie ein Gürtel um die kleine Krone legt, besteht aus den Departements Seine et Marne (77), den Yvelines (78), der Essonne (91) und dem Val-d’Oise (95).
Vor zwei Jahren fanden die Olympischen Spiele 2024 (JO2024) statt. Urbanistisch betrachtet, dienten die Spiele dabei vor allem dazu, die ungebrochene Anziehungskraft und stadtentwicklerischen Errungenschaften von Frankreich zu demonstrieren und… das (nahezu) fertiggestellte Grand-Paris der Welt vorzustellen!
Der Grand-Paris-Express und die neue Mobilität in der Stadt von Morgen
Der Bau des Grand-Paris-Express hat die Mobilität sowohl zur, als auch um die Hauptstadt schlagartig erhöht. Das Haussmannische Paris wurde unter der Bürgermeisterin Anne Hidalgo zum großen Paris. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel in Form von Straßenbahnen, U-Bahnen, Bussen und Sharing-Konzepten, wie im Falle von Fahrrädern und Rollern, hat eine gleichmäßigere Verteilung der Mobilität ermöglicht. Mit der Erweiterung der Linie 14 wurde unter anderem ein Beitrag zur Verringerung der gesellschaftlichen Ungleichheiten geleistet. Zugleich erfolgte jedoch auch eine Gentrifizierung und Vertreibung von ärmeren Bevölkerungsschichten. Diese mussten sich bis tief in die „neuen Städte“ (nouveaux villes), wie Cergy-Pontoise (95), zurückziehen. Und auch die veraltenden Wohnanlagen von Grigny-2 (91) haben sich nicht verändert.
Die sozialen Ungleichheiten bleiben dabei nach wie vor ein wichtiges Gesellschaftsproblem. Dennoch lässt sich bereits ein erster Trickle-Down-Effekt beobachten. Die Mobilität leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Ungleichheiten. Durch die Dezentralisierung der Verkehrsadern von Paris eröffnen sich neue Arbeitsmöglichkeiten. Die neuen Wohngebäude und Grünflächen haben für einen Großteil der Bevölkerung den Lebensstandard erhöht. Auch konnten vor allem im Norden von Paris Erfolge gegen die Jugendarbeitslosigkeit erreicht werden. Die Förderprogramme für Ärzte in der Seine-Saint-Denis führten in den letzten fünf Jahren zu einem Zuzug an benötigten Fachkräften im Gesundheitssektor.
2026 wird man wohl noch nicht an eine „Grande-Île de Paris“ denken
Dennoch werden erste Stimmen laut, das Grand-Paris auch auf die äußere Krone der Île-de-France auszuweiten. Hinsichtlich der gigantischen Verschuldung für die Erneuerung und Erweiterung von Paris, bleibt dies jedoch wohl in weiter Ferne. Die Immobilienspekulationen, welche ab 2012 mit der Konkretisierung der Infrastrukturpläne für das Grand-Paris begann, nimmt gefährliche Ausmaße an. Dennoch konnten einige große Erfolge in der nachhaltigen Stadtentwicklung erreicht und die Modernisierung der Stadt vorangetrieben werden.
Das Grand-Paris zählt dabei ungefähr 130 limitrophen Kommunen und umfasst über sieben Millionen Einwohner.
Auf den Spuren der Baukultur des Grand Paris und der Entwicklung eines Ballungsraumes
Mit großer Freude plane ich, das Écoquartier Clichy-Batignolles zu besichtigen. 2020 hatte ich einen Artikel zu diesem nachhaltigen Stadtviertel auf Französisch geschrieben und dies fotografisch dokumentiert. In wenigen Jahren entstand hier ein Viertel, welches die Konzepte der „Produktiven Stadt“ und Nachhaltigkeit verbindet. Ein Mischangebot von Wohnen, Arbeiten und Erholung wurde dabei erfolgreich auf dieser ehemaligen Industriebrache umgesetzt. Die Arbeiten begannen mit dem Martin-Luther King Park im Zentrum des Stadtteils. Die grüne Lunge des Viertels!
Den Bau hatte ich über mehrere Jahre hinweg beobachten können und nach dessen Fertigstellung begann eine Phase der Einlebung und Formung vom Viertelleben. 2026 ist es hier grün und belebt. Das Écoquartier beherbergt Menschen aus allen sozialen Klassen und Alters. Durch die Smart-City Konzepte mit ihren Sensoren und der Quantifizierung der Stadt, hat sich über die letzten fünf Jahre ein wichtiger Datenschatz ergeben, der inzwischen analysiert werden kann. Verkehrsberuhigte Zonen in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Ladenpassagen auf den Erdgeschossebenen schufen in diesem hochkompakten Vierteln eine kleine Welt für sich.
Im Grand Paris von 2026 hat sich Saint-Ouen am meisten zur Stadt der Zukunft gebildet
Ähnliche Ansätze lassen sich im angrenzenden Vorort Saint-Ouen und dem Giga-Projekt „Saint-Ouen Les Docks“ beobachten, welche pünktlich zu den Olympischen Spielen 2024 fertiggestellt wurden. Die neuen Häuserbauten haben das Stadtbild komplett verändert! Aufwändige Ornamente an den Fassaden wurden gegen glatte Oberflächen eingetauscht. Dennoch wird in den französischen Umsetzungen auf eine Variation des Stadtgewebes geachtet. Kein Hochhaus gleicht dem Anderen und auch einige Backstein- und haussmannische Gebäude aus dem vorangegangenen Jahrhundert konnten erhalten werden. Die Diversität der Architektur wird durch die Gestaltung des Raums ergänzt, wie im Falle der Platzierung von kleinen Grün- und öffentlichen Flächen, aber auch der öffentlichen Kunst (Skulpturen und urbane Kunst).
Auch wenn die kürzliche Fertigstellung der riesigen Tour Triangle im 13. Bezirk von Paris auf beeindruckende Weise das Stadtbild prägt, so wird der Wandel vor allem im Norden der Stadt in den 17. und 18. Bezirken ersichtlich, sowie den angrenzenden Vororten Clichy, Gennevilliers und Asnieres-sur Seine. Ein Fokus der Stadtentwicklung lag dabei 2020 auf den Banlieues von Saint-Ouen, , Saint-Denis, Aubervilliers, welche u.a. im interkommunalen Bebauungsplan als Saint-Denis La Plaine bezeichnet werden. Diese Zone welche sich 2021 noch in der Aufwertung von Gebäuden, Erschließung von Bauflächen befand und seitdem einer ewigen Baustelle glich, findet inzwischen zu einem normalen Alltagsleben. Vor allem die dortigen Geschäftsniederlassungen von großen Firmen, wie EDF und Bosch, profitieren von einem Wohnangebot für ihre Fachkräfte. Die Universitäten und Kulturräume sowie – institutionen unterstützen die kulturelle Entwicklung und ermöglichen eine florierende, urbane Kultur.
Das Grand-Paris und die Stadt der Zukunft. Fokus auf den Norden von Paris
Im Norden von Paris hat dabei ein Teil des zentralistischen Geist der französischen Stadtplanung mit der Eröffnung des neuen Justizpalasts überdauert. Der von Renzo Piano entworfene, an der Porte de Clichy gelegene Wolkenkratzer mit seinen 160 Metern Höhe, thront seit 2019 über dem 17. Bezirk und die angrenzende Ringautobahn, welche den Beginn der Vororte markiert. Unter anderem grenzt der Turm an das Écoquartier Clichy-Batignolles und die Batignolles. Seine Eröffnung hatte enorme Auswirkungen auf die Zusammensetzungen der Stadtgesellschaft und Umgebung. Die unsichtbare Grenze der Avenue de Clichy, welche das gentrifizierte Viertel der „Batignolles“ von den populären „Epinettes“ trennte, ist verschwunden. Doch das Verschwimmen von Grenzen hört nicht in Paris auf. Durch die Fertigstellung des Grand-Paris verschwimmt die stärkste physische Grenze der französischen Hauptstadt: dem Périphérique, der Ringautobahn. Der Schatten vom neuen Justizpalast zieht sich bis in die Vororte. Durch das Freiwerden von weiteren Wohn- und Arbeitsflächen nach den Olympischen Spielen von 2024, dem vorangegangenen Bauwahn und Immobilienverkäufen treten erste Spannungen auf.
Und auch wenn sich die gentrifizierten Vororte Clichy und Saint-Ouen durch Quoten an Sozialwohnungen einen populären Geist bewahren, hat der Fortzug der mittelbürgerlichen Schichten aus dem Stadtkern an den Rand vom Grand-Paris Auswirkungen auf das Stadtleben und die Zusammensetzung der Gesellschaft. Die kontinuierliche Nachfrage sieht sich in den nächsten Jahren möglicherweise mit der Tendenz einer aufkommenden Immobilienblase konfrontiert. In den kommenden Wahlen wird sich dabei entscheiden, ob sich auf kommunaler Ebene der Wandel der Politiklandschaft fortsetzt. War 2021 das Ende der „Couronne rouge“ („Rote Krone“) eine Befürchtung, so festigte sich dieser Prozess mit dem Zuzug anderer Bevölkerungsschichten. Die einst kommunistisch geprägte „Krone“, welche sich um Paris legte, weicht ökologisch und pro-europäisch orientierten Werten.
Ganz in der Analogie zu Haussmanns Restrukturierung von Paris, den damaligen politischen Unruhen und dem Ruf nach mehr Hygiene, steht das Grand-Paris Haussmann’s Ambitionen in keinster Weise nach. Doch wer kennt schon die Zukunft, welche auf die goldenen Zwanziger folgt?“
Frankreich. Eine Reise durch die vergangene Industriekultur des Oisans. Meine „Urban Exploration“-Tour (Urbex) führt mich in die französischen Alpen auf den Spuren der Großindustriellen Keller und Leleux. Diese beiden Unternehmer, ursprünglich aus der Bretagne, siedelten sich um 1900 in der Gegend an.
Einst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Hochort der Industrie, erinnern heute nur noch einige Gebäude an die vergangene Industrie im Oisans. Ein Streifzug durch die verschneiten Berglandschaften.
Im Süd-Osten Frankreichs gelegen, befindet sich die Gegend tief in den französischen Alpen. Zwischen den Städten Grenoble und Briancon, den Departements der Isère und den Hauts-Alpes schlummert die Geschichte einer vergangenen Industriekultur. Das Gebiet befindet sich vor allem um den Gebirgsfluss „Romanche„, an welchem sich die wichtigen Wasserkraftwerke zur Erzeugung von Elektrizität befanden. Das Naturgebiet „Parc des Écrins“ beinhaltet ebenfalls einen Teil des Oisans.
Auf winterlicher Urbex Reise durch die vergangene Industriekultur des Oisans
Auf der verschneiten Landstraße, welche an steilen Felshängen gelegen, sich durch die Berge windet, lauern überall verlassene Industrieruinen. Ohne Winterreifen, kein durchkommen möglich. Die Straße ist rutschig und es schneit beständig. Beindruckende Eiszapfen schmücken die milchig-glasigen Felswände. Von Weitem gleitet eine kleine Lawine die steile Hangfläche hinunter.
Ich konzentriere mich auf die Autofahrt, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel, erste Überreste vergangener Industriekultur im Oisans entdecke.
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Meine Reise beginnt in der Gemeinde Séchilienne. Am Straßenrand in den Fels gebaut, ragen zwei mysteriöse Rundbögen in den Berg. Moosbewachsene Steinstufen deuten einen alten Weg an. Auf einem Schild wird die Fläche als Privateigentum ausgewiesen. Ich entscheide mich erstmal der Straße der sechs Täler („Route des Six Vallées“) zu folgen.
Die kleine Gemeinde von Livet-et-Gavet besteht aus drei Dörfern, welche im Sinne der Industriekultur des Oisans verschiedene Aufgaben erfüllten. Die prinzipiellen Sektoren waren Elektrotechnik, Hydroenergie und Metallurgie. Hinzukam außerdem die Papierverarbeitung in Form von Papierfabriken.
Die Straße durch Gavet führt an einer nach wie vor aktiven Fabrik der Ferropem vorbei, welche zur Gewinnung und Verarbeitung von Metall dient. Auf dem von außen sichtbaren Fabrikgelände steht eine elektronische Anzeigetafel. 132 Tage ohne Vorfall, der das Herunterfahren der Maschinen verlangte. Die Fabrik ist der größte Arbeitgeber der 1300-Personen Gemeinde von Livet-et-Gavet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich die verschneite Form eines Tennisplatzes. Dieser gehört zu einem alten Herrenhaus, welches einst die gehobenen Angestellten beherbergte. Die Wände der Fabrik sind mit wild-bunten Graffiti übersät.
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Die Wohnpolitik in Gavet war dabei durch eine riesige Arbeiterkaserne geprägt. Jeder Großindustrielle und Unternehmer entschied über die Gestaltung der kleinen urbanen Siedlungen. Kirchen und Kinos, aber auch erste Sozialversicherungen versprachen den migrierten Arbeitern eine bequeme Zukunft und so erlebte die Gemeinde Livet-et-Gavet einen regen Zuzug. Von einem Ende auf Höhe von Gavet über Rioupéroux im Zentrum und Livet am anderen Ende: Der Mensch hatte sich die Natur zu eigen gemacht.
Urbex durch Rioupéroux: Ein kleines Dorf im Zentrum der vergangenen Industriekultur vom Oisans
Vor mir erscheint Rioupéroux trist und grau am Horizont. Ich komme am zentralen Dorf der kleinen Kommune von Livet-et-Gavet an. Seinen Wortursprung hat Rioupéroux möglicherweise aus dem lokalen Dialekt, was so viel bedeutet wie steiniger Wildbach.
Am „Place du Musée“ parke ich mein Auto und steige aus. Vor mir befindet sich die örtliche Bibliothek, sowie ein kleines Museum. Perfekt zur Thematik meiner Reise passend, handelt es über die am Gebirgsfluss der Romanche verlaufenden Industriekultur des Oisans. Winter- und Coronabedingt ist das „Musée de la Romanche“ jedoch leider geschlossen.
Der Einfluss der vergangenen Industriekultur ist durch die Planung des Dorfes Rioupéroux hindurch wahrnehmbar. Einzigartig für seine Zeit wurde das Dorf gesellschaftlich „horizontal“ gedacht. Wert wurde dabei auf kleine Häuser mit Garten und Komfort gelegt. Die bequemsten Wohneinheiten wurden dabei an die Belegschaft vergeben, welche am meisten Verantwortung übernahm. So sollte die Mitarbeiterschaft an die Fabriken und das Unternehmen gebunden werden.
Zu seiner Blütezeit befanden sich in dem Dorf mehrere Bäckereien, Lädenund Cafés. Diese bildeten die zentralen Austauschorte. Die Aluminium-Fabrik welche das Jahrhundert über Bestand leerte sich ab den 80ern beständig. Ab 1992 werden Teile der Fabriken abgerissen.
Urbex in den französischen Alpen: Die Industriekultur des Oisans lauert den Fluss entlang
Den Gebirgsfluss der Romanche entlang hatte sich ab 1816 die ersten Industriezweige angesiedelt. Die Nutzung von Wasserkraft spielte in dieser entlegenen Gegend von Frankreich schon lange eine wichtige Rolle.
Um das Dorf Rioupéroux hatte sich zu der Zeit bereits eine Hochofen- und Stahlwerksgesellschaft niedergelassen. Damals noch wenig effizient mit ordinären Mühlen betrieben, revolutionierten Fortschritte in der Hydroenergie die Effektivität. Der wilde Gebirgsfluss bot sich als ideale Energiequelle an. Keine hundert Jahre später, siedeln sich die Industriellen Keller-Leleux, aber auch Henri Gall und Paul Lacroix im Oisans an.
Auf der Suche nach der vergangenen Industriekultur des Oisans. Mittagspause!
Es ist Mittag und das Einzige geöffnete Restaurant von Rioupéroux ist der Döner-Laden „Le Libertad“. Irgendwie sympathisch sticht einem der Kopf von Che Guevara am Eingang in die Augen. Das Schnellrestaurant ist im kubanischen-Stil gestaltet. Der Besitzer ist ein großer Fan von Kuba und bereits zweimal dort gewesen.
Ursprünglich, ein algerischer IT-Ingenieur, hat er im Laufe seines Werdeganges, weltweit auf verschiedenen Öl-Bohrplattformen auf dem Meer und in der Wüste gearbeitet. Vor etwa einem halben Jahr hat er sich dazu entschieden, sich hier niederzulassen. Er ist mit dem ländlichen Leben zufrieden. Das Dorfleben hier ist ruhig. Auch, wenn wegen der Corona-Pandemie die Gäste ausbleiben und dies seinen Betrieb belastet.
Ohne Supermarkt ist der Dorfladen von Semir ein wichtiger Austauschort. Ihn kennt hier jeder. Die meisten Bewohner besitzen hier algerische Wurzeln und bilden eine enge Dorfgemeinschaft. Bedingt durch die ehemaligen Fabriken von Keller und Lelieux kannte die Gegend zu seiner Hochzeit einen starken Zuzug aus Italien, Polen, Russland und später dem Maghreb. Die Industrie verschwand im Laufe des 20. Jahrhunderts, doch die Arbeiterfamilien blieben.
Ich begebe mich auf die letzte Etape meiner Urbex Entdeckungsreise der Industriekultur vom Oisans. Am Dorfausgang von Rioupéroux begegnet mir der Kopf des französischen Sonnekönigs Louis XVI. Eine Lokal-Kuriosität! Geschichtlich ist die unweit gelegene Kleinstadt Vizilles, ein wichtiger Ort der Französischen Revolution gewesen. Möglicherweise bekam der Fels damals seinen Namen?
Die letzte Etappe meiner Urbex-Tour durch die vergangene Industriekultur im Oisans führt mich…
…Zum Wohnsitz der Großindustriellen Keller und Leleux
Niemand prägte das Tal vom Oisans so wie der Ingenieur, Erfinder und Großindustrielle Charles-Albert Keller. Über die Dorfeinfahrt von Livet kommt man zum einzigartigen Wohnhaus von Keller-Leleux. Dieses wurde 1912 erbaut. Das Haus, bekannt unter dem Namen „Le Pavillon Keller“ befindet sich zwischen der Landstraße, die das Dorf umgeht und der Romanche. Im Tiefen Winter entfaltet es dabei zwischen fallenden Schneeflocken einen Charme, der an die vergangene Industriekultur erinnert, wie kein anderer.
Als ich an dem Haus ankomme, begegne ich einem älteren Pärchen, welches Fotos macht. Sie sind aus der Region, doch leben nicht in diesem Dorf.
„C’est trop glauque„, sagt die blonde Frau mit einem Lachen, bevor die beiden wieder in Ihr Auto steigen und wegfahren. „Glauque“ ist ein besonderes Wort für trist und sinister. Die vergangene Ära einer Industrie, sie lässt nur graue Häuser und leere Gebäude.
Geradezu gespenstisch schwebt das Büro vom Großindustriellen auch hundert Jahre später in mehreren Metern Höhe. Das letzte Stockwerk ragt dabei ein Stück weit, von Betonstelzen getragen in den Garten. Zum Fluss gewandt ermöglichte es die Umgebung zu erblicken. Geschichten zufolge konnte Keller damit den Rauchausstoß seiner Fabriken überwachen. Heute ist das Haus spärlich bewohnt. Eine Besichtigung leider nicht möglich.
Bekannt wurde das Haus in dem Thriller „Die purpurnen Flüsse“ von Mathieu Kassovitz, in welchem der bekannte französische Schauspieler Jean Reno mitspielt. In dem Spielfilm wird der Kommissar Pierre Niémans in die rauen französischen Alpen geschickt, um einen Mord aufzuklären…
Urbex in Frankreich:Die Ruinenromantik der Industriekultur im Oisans
Zu seinen Lebzeiten war die Lebensweise in Livet paternalistisch organisiert mit Charles-Albert Keller als Oberhaupt. Seine Ingenieure lebten mit ihren Familien ebenfalls in dem Haus. Für weitere wichtige Mitarbeiter gab es außerdem zweistöckige Wohnhäuser. Den einfachen Arbeitern blieben nur die Baracken.
Auch gab es Prioritäten-Unterschiede zwischen den Arbeitern, welche im Winter gerne in den Fabriken arbeiteten, doch sich im Sommer lieber der Landwirtschaft hingaben. Die Eigenheiten des Gebirgsflusses führt dabei im Winter weniger Wasser und liefert somit weniger Elektrizität. Im Umkehrschluss war der Sommer lange die Hochsaison für die unternehmerischen Bestreben von Keller und Leleux.
Inzwischen haben andere Menschen, sich dieser verfallenden Gebäude vorgenommen und angeeignet. Ob von den Großstädten Grenoble, Lyon und Briancon kommend oder der Gegend des Oisans. Die Graffiti von Ivory, Yum, ONG und BNT sind überall entlang meines Weges zu finden. Den Spuren zufolge verewigen sich Jahr auf Jahr neue Sprüher an dieser Wohnruine.
Zwischen den verschneiten Baumgipfeln, auf der anderen Seite des Flusses: ehemalige Fabrikeinheiten. (Urbanauth / VG / 2021)
Wer war der Großindustrielle Charles-Albert Keller?
Portrait des Großindustriellen Charles-Albert Keller (Wikimedia / Romatomio / CC-BY-SA-4.0)
Charles-Albert Keller wurde am 1. Januar 1874 geboren. Nach einem Ingenieursstudium an der Hochschule Arts et Métiers von Angers sowie etwas Zeit bei der französischen Marine, widmet er sich der Entwicklung von Hochöfen. Mit 25-Jahren entwirft er 1889 einen der ersten Lichtbogenöfen zur Stahlweiterverarbeitung (Persee). Seine Erfindungen im Bereich der Stahllegierungen und Veredelungen markieren den Beginn seiner Karriere.
Kurz vor der Jahrhundertwende ist er dabei in Paris als beratender Ingenieur für Metallurgie tätig. Als er den Ingenieur Leleux kennenlernt und dieser um 1900 sein Partner wird, ist dies der Beginn der Keller-Leleux Industriekultur im Oisans. Eine verlassene Fabrik in Livet wird ihr erster Anschlusspunkt in die Gegend. Ab 1908 wird er ebenfalls, als gewählter Repräsentant der Handelskammer von Grenoble und 1930 sogar dessen Vorsitzender werden. Infolgedessen wird er einen bedeutenden Einfluss auf die Gegend nehmen.
1940 verstirbt der Großindustrielle Charles-Albert Keller. Er wird im Friedhof von Livet-et-Gavet begraben. Es markiert eine Wende in der Industriekultur des Oisans. Seine Wasserkraftwerke gehen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hände der EDF („Électricité de France“). Seine Stahl-und Aluminium-Fabriken werden aufgekauft, bis auch sie irgendwann die Lichter dimmen und die Schlüssel unter den Fußabtreter legen.
Zwischen den Wirren des Ersten Weltkrieges, inauguriert Keller 1918 das erste Wasserkraftwerk von Livet-Les Vernes. Ein besonderes Augenmerk legte Keller dabei auf die architekturelle Gestaltung. Es sollte die Landschaft prägen. Mit seinen zeitgenössischen Ornamenten erinnert das denkmalgeschützte Elektrizitätswerk an die Pracht der vergangenen Industriekultur des Oisans.
Die meisten Überreste der Industriekultur des Oisans sind heutzutage nicht zugänglich. Vor allem Innenaufnahmen von Kraftwerken, als systemkritische Infrastruktur sind verboten. Manche von den Fabriken, wie die der FEROCEM in Gavet, sind nach wie vor aktiv. Andere Gebäude werden ebenfalls zwischengenutzt. Wirtschaftlich hat sich die Gegend jedoch nur schleppend erholt.
Meine Urbex Reise durch die Industriekultur des Oisans endet an der Talsperre von Chambon
Ich steige wieder in mein Auto. Für die Rückfahrt wurde Schnee angesagt. Etwas besorgt beobachte ich, wie die Hänge rauf zur Talsperre vom Lac de Chambon, die Temperaturen stetig sinken. Die kurvenreiche Straße führt den Berghang hinauf. Links von mir fällt der steile Abhang runter ins Tal.
Der „Barrage du Chambon“, im Deutschen bekannt als die Talsperre von Chambon. Hier endet meine Reise in die vergangene Industriekultur des Oisans. (Urbanauth / VG / 2021)
Einen Tunnel vor der Talsperre schleicht ein Auto vor mir. Als es am Ende des Tunnels an den Straßenrand fährt, entdecke ich, dass es einen Platten an seinem vorderen linken Reifen hat. Zwischen Schneewehen und rutschigen Straßen, halte ich kurz am Parkplatz vom Lac du Chambon, ohne auf die andere Seite der Talsperre zu laufen.
Der Staudamm vom Lac du Chambon wurde 1928-1935 fertiggestellt. Vor der Errichtung des Hoover-Dammes in den Vereinigten Staaten von Amerika, war dies die größte Talsperre der Welt. Das Vorhaben des gigantischen Projektes stammt maßgeblich aus den Unternehmungen von Keller. Da im Winter der Gebirgsfluss nicht genügend Wasser mit sich führte, büßten die Fabriken an Effektivität ein. Dies betraf dabei alle Unternehmer. Durch den Staudamm konnten alle im unteren und mittleren Teil der Romanche angesiedelten Fabriken, die Wasserkraft auch im Winter nutzen.
Der Star-Architekt hinter diesem gigantischen Monstrum ist Edmé Campenon (1872-1962). Auf einer Länge von 294 Metern erstreckt sich diese Beton-Konstruktion. Vom Typ Gewichtsstaumauer besteht sie aus einer Schwergewichtswand. In Form einer Stützwand ist die Talsperre in die schwach geneigten Talflanken des Berges gebaut. Die zum künstlichen See gerichtete Wand verläuft dabei vertikal und hält so die Wassermassen zurück. Am unteren Ende beträgt die Breite der Talsperre aus Beton ganze 70 Meter. Dieser wurde in der umliegenden Umgebung, „vor Ort“ hergestellt. Für die Errichtung des Bauwerkes mussten die Dörfer Chambon, Dauphin und Parizet der Infrastruktur weichen.
Doch das Projekt war nicht ohne Risiko für Leib und Seele. 1923 ereignete sich der Dammbruch von Gleno in Italien. Am Morgen eines Dezembers hatte sich ein 70-Meter Riss in dem Beton gebildet, welcher das Wasser in einem Stausee band. Die freigewordene Flutwelle schwappte dabei apokalyptisch über das Tal von Dezzo. Eine 25 Kilometer lange Schneise der Zerstörung. Darunter fünf Fabriken, mehrere Dörfer und über 600 Tote. Besorgt über die Geschehnisse auf der anderen Seite der Grenze, entsendet Frankreich eine Untersuchungskommission. Die fahrlässigen Fehler im Bau der Talsperre von Gleno werden zur Kenntnis genommen und beim Bau des Staudammes von Chambon vermieden. Dennoch benötigt die Talsperre immer wieder wichtige Instandhaltungsarbeiten.
Urbanismus
Die „Stadt-Mensch Beziehung“ steht im Zentrum unserer Beobachtungen. Hier kannst du eine Zusammenfassung des „europäischen Urbanismus“ entdecken…
Industriekultur im Oisans ohne Urbex: Das Musée EDF Hydrélec
Die Ausstellung geht auf die Beginne der Wasserkraft zum Ende des 19. Jahrhunderts ein. Mit einem Bogen über die Entwicklungen im Folgejahrhundert wird ebenfalls auf die Automatisierung dieser Kraftwerke eingegangen.
Mein Grund für die Entdeckungstour den Gebirgsfluss der Romanche entlang: „Der Pavillon Keller“. (Urbanauth / VG / 2021)
Ebenso entdeckenswert: Das Museum Chasal Lento
Ein weiteres, empfehlenswertes Museum zur Industriekultur im Oisans ist das „Musée Chasal Lento“ im Bergdorf Mont-de-Lans. Die Ausstellungen gehen auf die lokale Kunst und Traditionen der Gegend des Oisans ein. Ein Kernstück der Ausstellung ist dem Bau der Talsperre vom Lac de Chambon gewidmet. Auch soll es ein Archiv an alten Fotografien der vergangenen Industriekultur und Lebensweise beherbergen.
Quellen: Die Inhalte beziehen sich auf folgende Hauptquellen: – Artikel auf Persee.fr: „La mise en mémoire de l’aventure industrielle d’une vallée alpine (Isère). Le musée de la Romanche“ von Marie-Christine Bailly-MaîtreLaurence Pissard, erschienen 2005 in der lokalen.ethnologischen Revue: Le Monde alpin et rhodanien. Revue régionale d’ethnologie (Seite 191-200 – Einem ausführlichen Blogbeitrag von Grenoble-cularo auf Overblog (Sehenswert für die Archivphotos!) – Dem Buch „Un barrage et des hommes – Chambon – Dans l’ombre d’un géant“, welches vom Verein Freyentique veröffentlicht wurde und die Geschichte der Talsperre Chambon dokumentiert. ISBN 978-2-9552142-1-3 – Die Katastrophe vom Staudamm Gleno in Italien und dessen Auswirkungen auf die Talsperre von Chambon. Artikel Persee.fr: „La catastrophe de Gleno (Italie) et le barrage de Chambon (Oisans)“ Raoul Blanchard Revue de Géographie Alpine Année 1924 12-4 Seiten 669-673