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Essay: Das Grand-Paris der Zukunft und die Stadt von Morgen

Essay: Das Grand-Paris der Zukunft und die Stadt von Morgen

Willkommen in der einzigartigen Stadt der Zukunft

Ein Essay zum Grand-Paris

Wir schreiben das Jahr 2026 und schauen auf den turbulenten Beginn der Zwanziger Jahre zurück.

2026 hat sich unsere urbane Lebenswelt weiterentwickelt. Die Bedeutung von Automatisierungsprozessen, der Einsatz von „Nichen- Künstliche Intelligenzen“ in unserem Alltag, wie z.B. Smart-Homes / -Cities, sowie im digitalen Raum führt zu starken Debatten. Das Zeitalter der Kommunikation, welche mit dem Internet anbrach, revolutionierte auch unsere städtische Organisierung. Kommunikation ermöglicht Partizipation. Mit holistischen Ansätzen in der Prozessgestaltung wird umso mehr versucht, so viele Bevölkerungsgruppen wie möglich zu erreichen und in die Stadtgestaltung miteinzubeziehen. Die Digitalität hat ihren Anschluss zur Urbanität erfolgreich gemeistert.

Rückblickend auf 2021 hat die Corona-Pandemie unsere globale Gesellschaft verändert und die Digitalisierung vorangetrieben. Homeoffice wurde schlagartig normalisiert. Lustigerweise geschah dies in Frankreich mit einem Monat Vorsprung. Da dort 2019 Dezember-Januar Generalstreike stattfanden, welche starke Auswirkungen auf die Mobilität der Bürger ausübten, machten viele Bürger bereits die Erfahrung vom „Télétravail“, dem französischen Homeoffice. Die anschließenden Lockdown-Restriktionen blieben jedoch allen Bürgern lange in Erinnerung.

Doch schlussendlich überwogen die längerfristigen Entwicklungstrends mit dem Grand-Paris, seinem Grand-Paris Express und den Écoquartiers, nachhaltigen Stadtvierteln.

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Willkommen im Grand Paris von Morgen! Wie könnte dieser Ort nördlich von Paris in fünf Jahren aussehen? (Urbanauth / VGO / 2021)

Wird das Grand Paris der Zukunft und Stadt von Morgen von der Corona-Pandemie lernen?

Die Nebeneffekte der Pandemie (2019-2021) haben zu neuen Erkenntnissen geführt und Innovation vorangetrieben. Auch wenn die Regierungen weiterhin ihren Klimazielen hinterhinken, Umweltkatastrophen seitdem in regelmäßigen Zyklen ganze Regionen der Erde verwüsten und Energie, sowie Ressourcen-Politik im Vordergrund steht; so beginnt der nachhaltige Städtebau der letzten Jahrzehnte Früchte zu tragen.

Den größten urbanen Wandel kennt dabei der Ballungsraum von Paris in der kleinen Krone von Paris. Das Grand-Paris besteht aus den Departements Paris (75) im Zentrum, den Hauts-de-Seine (92), der Seine Saint-Denis (93) im Norden und dem Val de Marne (94) im Norden. Diese wird als „Petite Couronne“ („kleine Krone“) bezeichnet. Die „Grande Couronne“ welche sich wie ein Gürtel um die kleine Krone legt, besteht aus den Departements Seine et Marne (77), den Yvelines (78), der Essonne (91) und dem Val-d’Oise (95).

Vor zwei Jahren fanden die Olympischen Spiele 2024 (JO2024) statt. Urbanistisch betrachtet, dienten die Spiele dabei vor allem dazu, die ungebrochene Anziehungskraft und stadtentwicklerischen Errungenschaften von Frankreich zu demonstrieren und… das (nahezu) fertiggestellte Grand-Paris der Welt vorzustellen!

Der Grand-Paris-Express und die neue Mobilität in der Stadt von Morgen

Grand Paris Stadt von Morgen Vorort Saint-Ouen 93 Departement  Seine-Saint Denis mit neuer Bahnhifhaltestelle "Gare de Saint-Ouen", Eingang zur Haltestelle Grand Paris Express Ubahn Linie 14
Ein Zugang zum neuen Bahnhof von Saint-Ouen. (Urbanauth / VGo / 2021)

Der Bau des Grand-Paris-Express hat die Mobilität sowohl zur, als auch um die Hauptstadt schlagartig erhöht. Das Haussmannische Paris wurde unter der Bürgermeisterin Anne Hidalgo zum großen Paris. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel in Form von Straßenbahnen, U-Bahnen, Bussen und Sharing-Konzepten, wie im Falle von Fahrrädern und Rollern, hat eine gleichmäßigere Verteilung der Mobilität ermöglicht. Mit der Erweiterung der Linie 14 wurde unter anderem ein Beitrag zur Verringerung der gesellschaftlichen Ungleichheiten geleistet. Zugleich erfolgte jedoch auch eine Gentrifizierung und Vertreibung von ärmeren Bevölkerungsschichten. Diese mussten sich bis tief in die „neuen Städte“ (nouveaux villes), wie Cergy-Pontoise (95), zurückziehen. Und auch die veraltenden Wohnanlagen von Grigny-2 (91) haben sich nicht verändert.

Die sozialen Ungleichheiten bleiben dabei nach wie vor ein wichtiges Gesellschaftsproblem. Dennoch lässt sich bereits ein erster Trickle-Down-Effekt beobachten. Die Mobilität leistet dabei einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Ungleichheiten. Durch die Dezentralisierung der Verkehrsadern von Paris eröffnen sich neue Arbeitsmöglichkeiten. Die neuen Wohngebäude und Grünflächen haben für einen Großteil der Bevölkerung den Lebensstandard erhöht. Auch konnten vor allem im Norden von Paris Erfolge gegen die Jugendarbeitslosigkeit erreicht werden. Die Förderprogramme für Ärzte in der Seine-Saint-Denis führten in den letzten fünf Jahren zu einem Zuzug an benötigten Fachkräften im Gesundheitssektor.

2026 wird man wohl noch nicht an eine „Grande-Île de Paris“ denken

Dennoch werden erste Stimmen laut, das Grand-Paris auch auf die äußere Krone der Île-de-France auszuweiten. Hinsichtlich der gigantischen Verschuldung für die Erneuerung und Erweiterung von Paris, bleibt dies jedoch wohl in weiter Ferne. Die Immobilienspekulationen, welche ab 2012 mit der Konkretisierung der Infrastrukturpläne für das Grand-Paris begann, nimmt gefährliche Ausmaße an. Dennoch konnten einige große Erfolge in der nachhaltigen Stadtentwicklung erreicht und die Modernisierung der Stadt vorangetrieben werden.

Das Grand-Paris zählt dabei ungefähr 130 limitrophen Kommunen und umfasst über sieben Millionen Einwohner.

Auf den Spuren der Baukultur des Grand Paris und der Entwicklung eines Ballungsraumes

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Relikte aus einer anderen Zeit. Wird dieses Gebäude die Stadt der Zukunft in Form des Grand-Paris miterleben? … Wahrscheinlich nicht (Urbanauth / VGO / 2021)

Mit großer Freude plane ich, das Écoquartier Clichy-Batignolles zu besichtigen. 2020 hatte ich einen Artikel zu diesem nachhaltigen Stadtviertel auf Französisch geschrieben und dies fotografisch dokumentiert. In wenigen Jahren entstand hier ein Viertel, welches die Konzepte der „Produktiven Stadt“ und Nachhaltigkeit verbindet. Ein Mischangebot von Wohnen, Arbeiten und Erholung wurde dabei erfolgreich auf dieser ehemaligen Industriebrache umgesetzt. Die Arbeiten begannen mit dem Martin-Luther King Park im Zentrum des Stadtteils. Die grüne Lunge des Viertels!

Den Bau hatte ich über mehrere Jahre hinweg beobachten können und nach dessen Fertigstellung begann eine Phase der Einlebung und Formung vom Viertelleben. 2026 ist es hier grün und belebt. Das Écoquartier beherbergt Menschen aus allen sozialen Klassen und Alters. Durch die Smart-City Konzepte mit ihren Sensoren und der Quantifizierung der Stadt, hat sich über die letzten fünf Jahre ein wichtiger Datenschatz ergeben, der inzwischen analysiert werden kann. Verkehrsberuhigte Zonen in Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Ladenpassagen auf den Erdgeschossebenen schufen in diesem hochkompakten Vierteln eine kleine Welt für sich.

Im Grand Paris von 2026 hat sich Saint-Ouen am meisten zur Stadt der Zukunft gebildet

Ähnliche Ansätze lassen sich im angrenzenden Vorort Saint-Ouen und dem Giga-Projekt „Saint-Ouen Les Docks“ beobachten, welche pünktlich zu den Olympischen Spielen 2024 fertiggestellt wurden. Die neuen Häuserbauten haben das Stadtbild komplett verändert! Aufwändige Ornamente an den Fassaden wurden gegen glatte Oberflächen eingetauscht. Dennoch wird in den französischen Umsetzungen auf eine Variation des Stadtgewebes geachtet. Kein Hochhaus gleicht dem Anderen und auch einige Backstein- und haussmannische Gebäude aus dem vorangegangenen Jahrhundert konnten erhalten werden. Die Diversität der Architektur wird durch die Gestaltung des Raums ergänzt, wie im Falle der Platzierung von kleinen Grün- und öffentlichen Flächen, aber auch der öffentlichen Kunst (Skulpturen und urbane Kunst).

Auch wenn die kürzliche Fertigstellung der riesigen Tour Triangle im 13. Bezirk von Paris auf beeindruckende Weise das Stadtbild prägt, so wird der Wandel vor allem im Norden der Stadt in den 17. und 18. Bezirken ersichtlich, sowie den angrenzenden Vororten Clichy, Gennevilliers und Asnieres-sur Seine. Ein Fokus der Stadtentwicklung lag dabei 2020 auf den Banlieues von Saint-Ouen, , Saint-Denis, Aubervilliers, welche u.a. im interkommunalen Bebauungsplan als Saint-Denis La Plaine bezeichnet werden. Diese Zone welche sich 2021 noch in der Aufwertung von Gebäuden, Erschließung von Bauflächen befand und seitdem einer ewigen Baustelle glich, findet inzwischen zu einem normalen Alltagsleben. Vor allem die dortigen Geschäftsniederlassungen von großen Firmen, wie EDF und Bosch, profitieren von einem Wohnangebot für ihre Fachkräfte. Die Universitäten und Kulturräume sowie – institutionen unterstützen die kulturelle Entwicklung und ermöglichen eine florierende, urbane Kultur.

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Urbane Kultur gibt es hier zu genüge! Graffiti von der Sprüherin Nake auf einer Baubrache in Saint-Ouen. (Urbanauth / VGO / 2021)

Das Grand-Paris und die Stadt der Zukunft. Fokus auf den Norden von Paris

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Im Norden von Paris verliert der Vorort Saint-Ouen Stück für Stück seinen industriellen Charakter und vollzieht die Eingliederung in die Stadt der Zukunft Frankreichs mit dem Grand-Paris. (Urbanauth / VGO / 2021)

Im Norden von Paris hat dabei ein Teil des zentralistischen Geist der französischen Stadtplanung mit der Eröffnung des neuen Justizpalasts überdauert. Der von Renzo Piano entworfene, an der Porte de Clichy gelegene Wolkenkratzer mit seinen 160 Metern Höhe, thront seit 2019 über dem 17. Bezirk und die angrenzende Ringautobahn, welche den Beginn der Vororte markiert. Unter anderem grenzt der Turm an das Écoquartier Clichy-Batignolles und die Batignolles. Seine Eröffnung hatte enorme Auswirkungen auf die Zusammensetzungen der Stadtgesellschaft und Umgebung. Die unsichtbare Grenze der Avenue de Clichy, welche das gentrifizierte Viertel der „Batignolles“ von den populären „Epinettes“ trennte, ist verschwunden. Doch das Verschwimmen von Grenzen hört nicht in Paris auf. Durch die Fertigstellung des Grand-Paris verschwimmt die stärkste physische Grenze der französischen Hauptstadt: dem Périphérique, der Ringautobahn. Der Schatten vom neuen Justizpalast zieht sich bis in die Vororte. Durch das Freiwerden von weiteren Wohn- und Arbeitsflächen nach den Olympischen Spielen von 2024, dem vorangegangenen Bauwahn und Immobilienverkäufen treten erste Spannungen auf.

Und auch wenn sich die gentrifizierten Vororte Clichy und Saint-Ouen durch Quoten an Sozialwohnungen einen populären Geist bewahren, hat der Fortzug der mittelbürgerlichen Schichten aus dem Stadtkern an den Rand vom Grand-Paris Auswirkungen auf das Stadtleben und die Zusammensetzung der Gesellschaft. Die kontinuierliche Nachfrage sieht sich in den nächsten Jahren möglicherweise mit der Tendenz einer aufkommenden Immobilienblase konfrontiert. In den kommenden Wahlen wird sich dabei entscheiden, ob sich auf kommunaler Ebene der Wandel der Politiklandschaft fortsetzt. War 2021 das Ende der „Couronne rouge“ („Rote Krone“) eine Befürchtung, so festigte sich dieser Prozess mit dem Zuzug anderer Bevölkerungsschichten. Die einst kommunistisch geprägte „Krone“, welche sich um Paris legte, weicht ökologisch und pro-europäisch orientierten Werten.

Auch wenn einige alte, graue Plattenbauten aus brutalistischen Zeiten dem Wandel zu trotzen wissen… So scheinen die bisherigen Aktionspläne gegen soziale Ungleichheiten, abgesehen von der gestiegenen Mobilität, dem Gesundheitssektor und der Instandsetzung der Polizeikommissariate von Aulnay-sous-Bois und Epinay-sur-Seine, noch keine konkreten Ergebnisse zu liefern. So mag zwar der Lehrermangel an den Bildungseinrichtungen im 93 gesunken sein, doch andere Spannungen bleiben bestehen.

Ganz in der Analogie zu Haussmanns Restrukturierung von Paris, den damaligen politischen Unruhen und dem Ruf nach mehr Hygiene, steht das Grand-Paris Haussmann’s Ambitionen in keinster Weise nach. Doch wer kennt schon die Zukunft, welche auf die goldenen Zwanziger folgt?

[Ende der Fiktion]

Urbex : Vergangene Industriekultur in den französischen Alpen

Urbex : Vergangene Industriekultur in den französischen Alpen

Frankreich. Eine Reise durch die vergangene Industriekultur des Oisans. Meine „Urban Exploration“-Tour (Urbex) führt mich in die französischen Alpen auf den Spuren der Großindustriellen Keller und Leleux. Diese beiden Unternehmer, ursprünglich aus der Bretagne, siedelten sich um 1900 in der Gegend an.

Einst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Hochort der Industrie, erinnern heute nur noch einige Gebäude an die vergangene Industrie im Oisans. Ein Streifzug durch die verschneiten Berglandschaften.

Der Postbote liefert schon lange nicht mehr an diese Adresse. Auf Spurensuche im Oisans. (Urbanauth / VG / 2021)

Im Süd-Osten Frankreichs gelegen, befindet sich die Gegend tief in den französischen Alpen. Zwischen den Städten Grenoble und Briancon, den Departements der Isère und den Hauts-Alpes schlummert die Geschichte einer vergangenen Industriekultur. Das Gebiet befindet sich vor allem um den Gebirgsfluss „Romanche„, an welchem sich die wichtigen Wasserkraftwerke zur Erzeugung von Elektrizität befanden. Das Naturgebiet „Parc des Écrins“ beinhaltet ebenfalls einen Teil des Oisans.

Auf winterlicher Urbex Reise durch die vergangene Industriekultur des Oisans

Spurensuche Industriekultur im Oisans. Gar nicht so einfach im Winter! Schnell wird hier nämlich nicht gefahren. Steil ragen die Felshänge ins Tal. Rutschig die Fahrbahn, welche den Gebirgsfluss entlang mich zu den Dörfern führt. (Urbanauth / VG / 2021)

Auf der verschneiten Landstraße, welche an steilen Felshängen gelegen, sich durch die Berge windet, lauern überall verlassene Industrieruinen. Ohne Winterreifen, kein durchkommen möglich. Die Straße ist rutschig und es schneit beständig. Beindruckende Eiszapfen schmücken die milchig-glasigen Felswände. Von Weitem gleitet eine kleine Lawine die steile Hangfläche hinunter.

Ich konzentriere mich auf die Autofahrt, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel, erste Überreste vergangener Industriekultur im Oisans entdecke.

Mysteriös ragen diese beiden Rundbögen aus der Felswand. (Urbanauth / VG / 2021)

Meine Reise beginnt in der Gemeinde Séchilienne. Am Straßenrand in den Fels gebaut, ragen zwei mysteriöse Rundbögen in den Berg. Moosbewachsene Steinstufen deuten einen alten Weg an. Auf einem Schild wird die Fläche als Privateigentum ausgewiesen. Ich entscheide mich erstmal der Straße der sechs Täler („Route des Six Vallées“) zu folgen.

Die kleine Gemeinde von Livet-et-Gavet besteht aus drei Dörfern, welche im Sinne der Industriekultur des Oisans verschiedene Aufgaben erfüllten. Die prinzipiellen Sektoren waren Elektrotechnik, Hydroenergie und Metallurgie. Hinzukam außerdem die Papierverarbeitung in Form von Papierfabriken.

Die Straße durch Gavet führt an einer nach wie vor aktiven Fabrik der Ferropem vorbei, welche zur Gewinnung und Verarbeitung von Metall dient. Auf dem von außen sichtbaren Fabrikgelände steht eine elektronische Anzeigetafel. 132 Tage ohne Vorfall, der das Herunterfahren der Maschinen verlangte. Die Fabrik ist der größte Arbeitgeber der 1300-Personen Gemeinde von Livet-et-Gavet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite entdecke ich die verschneite Form eines Tennisplatzes. Dieser gehört zu einem alten Herrenhaus, welches einst die gehobenen Angestellten beherbergte. Die Wände der Fabrik sind mit wild-bunten Graffiti übersät.

Die Wohnpolitik in Gavet war dabei durch eine riesige Arbeiterkaserne geprägt. Jeder Großindustrielle und Unternehmer entschied über die Gestaltung der kleinen urbanen Siedlungen. Kirchen und Kinos, aber auch erste Sozialversicherungen versprachen den migrierten Arbeitern eine bequeme Zukunft und so erlebte die Gemeinde Livet-et-Gavet einen regen Zuzug. Von einem Ende auf Höhe von Gavet über Rioupéroux im Zentrum und Livet am anderen Ende: Der Mensch hatte sich die Natur zu eigen gemacht.

Urbex durch Rioupéroux: Ein kleines Dorf im Zentrum der vergangenen Industriekultur vom Oisans

Das kleine Dorf besitzt eine Bibliothek und ein Museum über die Industriekultur am Gebirgsfluss Romanche und somit der Gegend vom Oisans beinhaltet. (Urbanauth / VG /2021)

Vor mir erscheint Rioupéroux trist und grau am Horizont. Ich komme am zentralen Dorf der kleinen Kommune von Livet-et-Gavet an. Seinen Wortursprung hat Rioupéroux möglicherweise aus dem lokalen Dialekt, was so viel bedeutet wie steiniger Wildbach.

Am „Place du Musée“ parke ich mein Auto und steige aus. Vor mir befindet sich die örtliche Bibliothek, sowie ein kleines Museum. Perfekt zur Thematik meiner Reise passend, handelt es über die am Gebirgsfluss der Romanche verlaufenden Industriekultur des Oisans. Winter- und Coronabedingt ist das „Musée de la Romanche“ jedoch leider geschlossen.

Der Einfluss der vergangenen Industriekultur ist durch die Planung des Dorfes Rioupéroux hindurch wahrnehmbar. Einzigartig für seine Zeit wurde das Dorf gesellschaftlich „horizontal“ gedacht. Wert wurde dabei auf kleine Häuser mit Garten und Komfort gelegt. Die bequemsten Wohneinheiten wurden dabei an die Belegschaft vergeben, welche am meisten Verantwortung übernahm. So sollte die Mitarbeiterschaft an die Fabriken und das Unternehmen gebunden werden.

Zu seiner Blütezeit befanden sich in dem Dorf mehrere Bäckereien, Läden und Cafés. Diese bildeten die zentralen Austauschorte. Die Aluminium-Fabrik welche das Jahrhundert über Bestand leerte sich ab den 80ern beständig. Ab 1992 werden Teile der Fabriken abgerissen.

Urbex in den französischen Alpen: Die Industriekultur des Oisans lauert den Fluss entlang

Die historische Zentrale „Les Roberts“ ist in Besitz der EDF, „Electricité de France“. (Urbanauth / VG / 2021)

Den Gebirgsfluss der Romanche entlang hatte sich ab 1816 die ersten Industriezweige angesiedelt. Die Nutzung von Wasserkraft spielte in dieser entlegenen Gegend von Frankreich schon lange eine wichtige Rolle.

Um das Dorf Rioupéroux hatte sich zu der Zeit bereits eine Hochofen- und Stahlwerksgesellschaft niedergelassen. Damals noch wenig effizient mit ordinären Mühlen betrieben, revolutionierten Fortschritte in der Hydroenergie die Effektivität. Der wilde Gebirgsfluss bot sich als ideale Energiequelle an. Keine hundert Jahre später, siedeln sich die Industriellen Keller-Leleux, aber auch Henri Gall und Paul Lacroix im Oisans an.

Auf der Suche nach der vergangenen Industriekultur des Oisans. Mittagspause!

Wie ausgestorben. Das Dorf Rioupéroux im Winter. (Urbanauth / VG / 2021)

Es ist Mittag und das Einzige geöffnete Restaurant von Rioupéroux ist der Döner-Laden „Le Libertad“. Irgendwie sympathisch sticht einem der Kopf von Che Guevara am Eingang in die Augen. Das Schnellrestaurant ist im kubanischen-Stil gestaltet. Der Besitzer ist ein großer Fan von Kuba und bereits zweimal dort gewesen.

Ursprünglich, ein algerischer IT-Ingenieur, hat er im Laufe seines Werdeganges, weltweit auf verschiedenen Öl-Bohrplattformen auf dem Meer und in der Wüste gearbeitet. Vor etwa einem halben Jahr hat er sich dazu entschieden, sich hier niederzulassen. Er ist mit dem ländlichen Leben zufrieden. Das Dorfleben hier ist ruhig. Auch, wenn wegen der Corona-Pandemie die Gäste ausbleiben und dies seinen Betrieb belastet.

Ohne Supermarkt ist der Dorfladen von Semir ein wichtiger Austauschort. Ihn kennt hier jeder. Die meisten Bewohner besitzen hier algerische Wurzeln und bilden eine enge Dorfgemeinschaft. Bedingt durch die ehemaligen Fabriken von Keller und Lelieux kannte die Gegend zu seiner Hochzeit einen starken Zuzug aus Italien, Polen, Russland und später dem Maghreb. Die Industrie verschwand im Laufe des 20. Jahrhunderts, doch die Arbeiterfamilien blieben.

Die Felsformation trägt den Namen Kopf von Louis XVI., da der Felsvorsprung der Nase des einstigen Sonnenköniges ähnelt. (Urbanauth / VG / 2021)

Ich begebe mich auf die letzte Etape meiner Urbex Entdeckungsreise der Industriekultur vom Oisans. Am Dorfausgang von Rioupéroux begegnet mir der Kopf des französischen Sonnekönigs Louis XVI. Eine Lokal-Kuriosität! Geschichtlich ist die unweit gelegene Kleinstadt Vizilles, ein wichtiger Ort der Französischen Revolution gewesen. Möglicherweise bekam der Fels damals seinen Namen?

Die letzte Etappe meiner Urbex-Tour durch die vergangene Industriekultur im Oisans führt mich…

Keller und Leleux, zwei bedeutende Figuren der vergangenen Industriekultur im Oisans. (Urbanauth / VG / 2021)

…Zum Wohnsitz der Großindustriellen Keller und Leleux

Die vergangene Industriekultur im Oisans und seine einzigartige Architektur. Das Wohnhaus von Keller-Leleux und deren systemrelevanten Belegschaft. (Urbanauth / VG / 2021)
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(Urbanauth / VG / 2021)

Niemand prägte das Tal vom Oisans so wie der Ingenieur, Erfinder und Großindustrielle Charles-Albert Keller. Über die Dorfeinfahrt von Livet kommt man zum einzigartigen Wohnhaus von Keller-Leleux. Dieses wurde 1912 erbaut. Das Haus, bekannt unter dem Namen „Le Pavillon Keller“ befindet sich zwischen der Landstraße, die das Dorf umgeht und der Romanche. Im Tiefen Winter entfaltet es dabei zwischen fallenden Schneeflocken einen Charme, der an die vergangene Industriekultur erinnert, wie kein anderer.

Als ich an dem Haus ankomme, begegne ich einem älteren Pärchen, welches Fotos macht. Sie sind aus der Region, doch leben nicht in diesem Dorf.

C’est trop glauque„, sagt die blonde Frau mit einem Lachen, bevor die beiden wieder in Ihr Auto steigen und wegfahren. „Glauque“ ist ein besonderes Wort für trist und sinister. Die vergangene Ära einer Industrie, sie lässt nur graue Häuser und leere Gebäude.

Geradezu gespenstisch schwebt das Büro vom Großindustriellen auch hundert Jahre später in mehreren Metern Höhe. Das letzte Stockwerk ragt dabei ein Stück weit, von Betonstelzen getragen in den Garten. Zum Fluss gewandt ermöglichte es die Umgebung zu erblicken. Geschichten zufolge konnte Keller damit den Rauchausstoß seiner Fabriken überwachen. Heute ist das Haus spärlich bewohnt. Eine Besichtigung leider nicht möglich.

Bekannt wurde das Haus in dem Thriller „Die purpurnen Flüsse“ von Mathieu Kassovitz, in welchem der bekannte französische Schauspieler Jean Reno mitspielt. In dem Spielfilm wird der Kommissar Pierre Niémans in die rauen französischen Alpen geschickt, um einen Mord aufzuklären…

Urbex in Frankreich: Die Ruinenromantik der Industriekultur im Oisans

Wer die Landstraße durch Livet nimmt, kann im Vorbeifahren die buntbemalte Fassade dieses Hauses entdecken. Dies könnte dabei möglicherweise den gehobenen Angestellten als Wohnhaus gedient haben. (Urbanauth / VG /2021)

Zu seinen Lebzeiten war die Lebensweise in Livet paternalistisch organisiert mit Charles-Albert Keller als Oberhaupt. Seine Ingenieure lebten mit ihren Familien ebenfalls in dem Haus. Für weitere wichtige Mitarbeiter gab es außerdem zweistöckige Wohnhäuser. Den einfachen Arbeitern blieben nur die Baracken.

Auch gab es Prioritäten-Unterschiede zwischen den Arbeitern, welche im Winter gerne in den Fabriken arbeiteten, doch sich im Sommer lieber der Landwirtschaft hingaben. Die Eigenheiten des Gebirgsflusses führt dabei im Winter weniger Wasser und liefert somit weniger Elektrizität. Im Umkehrschluss war der Sommer lange die Hochsaison für die unternehmerischen Bestreben von Keller und Leleux.

Inzwischen haben andere Menschen, sich dieser verfallenden Gebäude vorgenommen und angeeignet. Ob von den Großstädten Grenoble, Lyon und Briancon kommend oder der Gegend des Oisans. Die Graffiti von Ivory, Yum, ONG und BNT sind überall entlang meines Weges zu finden. Den Spuren zufolge verewigen sich Jahr auf Jahr neue Sprüher an dieser Wohnruine.

Zwischen den verschneiten Baumgipfeln, auf der anderen Seite des Flusses: ehemalige Fabrikeinheiten. (Urbanauth / VG / 2021)

Wer war der Großindustrielle Charles-Albert Keller?

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Portrait des Großindustriellen Charles-Albert Keller (Wikimedia / Romatomio / CC-BY-SA-4.0)

Charles-Albert Keller wurde am 1. Januar 1874 geboren. Nach einem Ingenieursstudium an der Hochschule Arts et Métiers von Angers sowie etwas Zeit bei der französischen Marine, widmet er sich der Entwicklung von Hochöfen. Mit 25-Jahren entwirft er 1889 einen der ersten Lichtbogenöfen zur Stahlweiterverarbeitung (Persee). Seine Erfindungen im Bereich der Stahllegierungen und Veredelungen markieren den Beginn seiner Karriere.

Kurz vor der Jahrhundertwende ist er dabei in Paris als beratender Ingenieur für Metallurgie tätig. Als er den Ingenieur Leleux kennenlernt und dieser um 1900 sein Partner wird, ist dies der Beginn der Keller-Leleux Industriekultur im Oisans. Eine verlassene Fabrik in Livet wird ihr erster Anschlusspunkt in die Gegend. Ab 1908 wird er ebenfalls, als gewählter Repräsentant der Handelskammer von Grenoble und 1930 sogar dessen Vorsitzender werden. Infolgedessen wird er einen bedeutenden Einfluss auf die Gegend nehmen.

1940 verstirbt der Großindustrielle Charles-Albert Keller. Er wird im Friedhof von Livet-et-Gavet begraben. Es markiert eine Wende in der Industriekultur des Oisans. Seine Wasserkraftwerke gehen nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hände der EDF („Électricité de France“). Seine Stahl-und Aluminium-Fabriken werden aufgekauft, bis auch sie irgendwann die Lichter dimmen und die Schlüssel unter den Fußabtreter legen.

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Zwischen den Wirren des Ersten Weltkrieges, inauguriert Keller 1918 das erste Wasserkraftwerk von Livet-Les Vernes. Ein besonderes Augenmerk legte Keller dabei auf die architekturelle Gestaltung. Es sollte die Landschaft prägen. Mit seinen zeitgenössischen Ornamenten erinnert das denkmalgeschützte Elektrizitätswerk an die Pracht der vergangenen Industriekultur des Oisans.

Die meisten Überreste der Industriekultur des Oisans sind heutzutage nicht zugänglich. Vor allem Innenaufnahmen von Kraftwerken, als systemkritische Infrastruktur sind verboten. Manche von den Fabriken, wie die der FEROCEM in Gavet, sind nach wie vor aktiv. Andere Gebäude werden ebenfalls zwischengenutzt. Wirtschaftlich hat sich die Gegend jedoch nur schleppend erholt.

Meine Urbex Reise durch die Industriekultur des Oisans endet an der Talsperre von Chambon

Ich steige wieder in mein Auto. Für die Rückfahrt wurde Schnee angesagt. Etwas besorgt beobachte ich, wie die Hänge rauf zur Talsperre vom Lac de Chambon, die Temperaturen stetig sinken. Die kurvenreiche Straße führt den Berghang hinauf. Links von mir fällt der steile Abhang runter ins Tal.

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Der „Barrage du Chambon“, im Deutschen bekannt als die Talsperre von Chambon. Hier endet meine Reise in die vergangene Industriekultur des Oisans. (Urbanauth / VG / 2021)

Einen Tunnel vor der Talsperre schleicht ein Auto vor mir. Als es am Ende des Tunnels an den Straßenrand fährt, entdecke ich, dass es einen Platten an seinem vorderen linken Reifen hat. Zwischen Schneewehen und rutschigen Straßen, halte ich kurz am Parkplatz vom Lac du Chambon, ohne auf die andere Seite der Talsperre zu laufen.

Der Staudamm vom Lac du Chambon wurde 1928-1935 fertiggestellt. Vor der Errichtung des Hoover-Dammes in den Vereinigten Staaten von Amerika, war dies die größte Talsperre der Welt. Das Vorhaben des gigantischen Projektes stammt maßgeblich aus den Unternehmungen von Keller. Da im Winter der Gebirgsfluss nicht genügend Wasser mit sich führte, büßten die Fabriken an Effektivität ein. Dies betraf dabei alle Unternehmer. Durch den Staudamm konnten alle im unteren und mittleren Teil der Romanche angesiedelten Fabriken, die Wasserkraft auch im Winter nutzen.

Der Star-Architekt hinter diesem gigantischen Monstrum ist Edmé Campenon (1872-1962). Auf einer Länge von 294 Metern erstreckt sich diese Beton-Konstruktion. Vom Typ Gewichtsstaumauer besteht sie aus einer Schwergewichtswand. In Form einer Stützwand ist die Talsperre in die schwach geneigten Talflanken des Berges gebaut. Die zum künstlichen See gerichtete Wand verläuft dabei vertikal und hält so die Wassermassen zurück. Am unteren Ende beträgt die Breite der Talsperre aus Beton ganze 70 Meter. Dieser wurde in der umliegenden Umgebung, „vor Ort“ hergestellt. Für die Errichtung des Bauwerkes mussten die Dörfer Chambon, Dauphin und Parizet der Infrastruktur weichen.

Doch das Projekt war nicht ohne Risiko für Leib und Seele. 1923 ereignete sich der Dammbruch von Gleno in Italien. Am Morgen eines Dezembers hatte sich ein 70-Meter Riss in dem Beton gebildet, welcher das Wasser in einem Stausee band. Die freigewordene Flutwelle schwappte dabei apokalyptisch über das Tal von Dezzo. Eine 25 Kilometer lange Schneise der Zerstörung. Darunter fünf Fabriken, mehrere Dörfer und über 600 Tote. Besorgt über die Geschehnisse auf der anderen Seite der Grenze, entsendet Frankreich eine Untersuchungskommission. Die fahrlässigen Fehler im Bau der Talsperre von Gleno werden zur Kenntnis genommen und beim Bau des Staudammes von Chambon vermieden. Dennoch benötigt die Talsperre immer wieder wichtige Instandhaltungsarbeiten.

Industriekultur im Oisans ohne Urbex: Das Musée EDF Hydrélec

Das Museum der französischen Elektrizitätsgesellschaft EDF über Hydroenergie befindet sich „Route du Lac – Le Verney, Vaujany 38114„. Hierzu muss man die Route de l’Oisans (D1091) bis zum Dorf Rochetaillé folgen und anschließend bis ins Dorf Vaujany am anderen Endes des Lac du Verney.

Die Ausstellung geht auf die Beginne der Wasserkraft zum Ende des 19. Jahrhunderts ein. Mit einem Bogen über die Entwicklungen im Folgejahrhundert wird ebenfalls auf die Automatisierung dieser Kraftwerke eingegangen.

Mein Grund für die Entdeckungstour den Gebirgsfluss der Romanche entlang: „Der Pavillon Keller“. (Urbanauth / VG / 2021)

Ebenso entdeckenswert: Das Museum Chasal Lento

Ein weiteres, empfehlenswertes Museum zur Industriekultur im Oisans ist das „Musée Chasal Lento“ im Bergdorf Mont-de-Lans. Die Ausstellungen gehen auf die lokale Kunst und Traditionen der Gegend des Oisans ein. Ein Kernstück der Ausstellung ist dem Bau der Talsperre vom Lac de Chambon gewidmet. Auch soll es ein Archiv an alten Fotografien der vergangenen Industriekultur und Lebensweise beherbergen.

Quellen:
Die Inhalte beziehen sich auf folgende Hauptquellen:
– Artikel auf Persee.fr: „La mise en mémoire de l’aventure industrielle d’une vallée alpine (Isère). Le musée de la Romanche“ von Marie-Christine Bailly-MaîtreLaurence Pissard, erschienen 2005 in der lokalen.ethnologischen Revue: Le Monde alpin et rhodanien. Revue régionale d’ethnologie (Seite 191-200
– Einem ausführlichen Blogbeitrag von Grenoble-cularo auf Overblog (Sehenswert für die Archivphotos!)
– Dem Buch „Un barrage et des hommes – Chambon – Dans l’ombre d’un géant“, welches vom Verein Freyentique veröffentlicht wurde und die Geschichte der Talsperre Chambon dokumentiert. ISBN 978-2-9552142-1-3
– Die Katastrophe vom Staudamm Gleno in Italien und dessen Auswirkungen auf die Talsperre von Chambon. Artikel Persee.fr: „La catastrophe de Gleno (Italie) et le barrage de Chambon (Oisans)“ Raoul Blanchard Revue de Géographie Alpine Année 1924 12-4 Seiten 669-673

Grand-Paris: Wo wohnen Gold ist, sind Miethaie nicht weit

Grand-Paris: Wo wohnen Gold ist, sind Miethaie nicht weit

Vom Zentrum von Paris ausgehend, zum angrenzenden, reichen Neuilly-sur-Seine im Westen und dem armen Departement der Seine Saint-Denis im Norden, sowie der berüchtigten Wohnanlage Grigny 2 im Süden. Das Grand-Paris ist ein Sammelbecken für skrupellose Miethaie.

Der wichtigste Ballungsraum von Frankreich mit seinem Wohnungsmangel und Bevölkerungszuzug bietet den Nährboden für dubiose Geschäftspraktiken. Und auch wenn die französische Regierung sich des Problems seit langem bewusst ist, bleibt es nur schwer in den Griff zu kriegen.

Der Ballungsraum des Grand-Paris ist ein Sammelbecken für Miethaie

Eine würdevolle Unterkunft für seine Bewohner ist wichtiger Bestandteil einer gerechten Stadt. Dass dies nicht immer der Fall ist, wird vor allem in den Metropolen und Hauptstädten sichtbar. Während Miethaie in Deutschland vor allem in Form von großen Immobilienkonzernen bekannt sind, so nehmen sie im Ausland bisweilen andere Erscheinungsformen an. Ob Irlands Miethaie in Dublin, welche als „Slumlords“ bekannt sind oder den „Marchands de sommeil“ in Frankreich: „Wo Wohnen Gold ist, sind die Miethaie nicht weit“.

Gentrifizierung und räumliche Segregationsprozesse knüpfen dabei an den wirtschaftlichen Motor der Hauptstadt. Die Arbeitsplätze im Zentrum, Flughäfen und dem Geflecht an Industrie und Handel führen zu einer starken Anfrage an billigen Arbeitskräften. Dies hat Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Die durch die Nachfrage hohen Mietpreise ermöglichen dabei lukrative Mieteinkünfte auf Kosten des Wohlergehens der Vermieter.

Und den Miethaien mangelt es nicht an kriminellem Einfallsreichtum. Ob alternde, nicht instandgehaltene Häuser, wie im Fall der eingestürzten Häuser in Marseille; Hausmädchenzimmern in Paris oder der Aufteilung einer Wohnung in mehrere separate Wohneinheiten wie im Fall der Banlieues: das Übel hat viele Gesichter.

Was genau ist ein französischer Miethai?

Die „Plaine Saint Denis“ beinhaltet die Kommunen Saint-Denis, Auberviliers und Saint-Ouen. In dieser Zone sind besonders viele Miethaie zu finden. Dieses baufällige Haus steht in der Nähe des Turmes Pleyels, einem gigantischen Stahlkoloss. (Urbanauth / VGO / 2019)

Die französischen Miethaie werden im Sprachgebrauch als „Marchands de sommeil“ bezeichnet. Wortwörtlich übersetzt bedeutet dies „Schlafhändler„. Der Begriff hat dabei keine juristische Bedeutung. So kann er sich auf Einzelpersonen oder Gruppen beziehen. Um einer Kontrolle zu umgehen, ziehen die Miethaie Barzahlungen vor.

Wenn Sie Blut riechen, kommen Sie angeschwommen. Die Miethaie im Grand-Paris. Von den „Chambres de bonnes“ in Montmarte zu den „Taudis“ der Vororte. Man kennt Sie als die „Marchands de sommeil“. Diejenigen, welche nichts weniger als Schlaf verkaufen.

Beschreibung eines französischen Miethaies

Dabei muss zwischen den Motiven der Miethaie unterschieden werden. Die „professionnellen Miethaie„, Besitzer mehrerer Mietobjekte zu überzogenen Quadratmeter-Preisen. Die Räumlichkeiten befinden sich oft in einem gesundheitsschädlichen bis lebensgefährlichen Zustand. In manchen Fällen wird sogar nicht davor zurückgeschreckt, Matratzen stückweise zu vermieten. Diese Sorte erinnert an die Miethaie aus Dublin, den „Slumlords“.

Auf der anderen Seite betrifft dies aber auch prekäre Eigentümer. Oft im Besitz von wenigen Wohneinheiten im selben Wohnhaus, führen die teuren Hauskosten zu unerwartet hohen Kosten. Die Räume werden oft an Menschen aus demselben kulturellen Hintergrund oder mit irregulärem Aufenthaltsstatus vermietet. Solche Fälle können im größeren Ausmaße aber ebenso Netzwerken von Menschenschmuggel dienen. Zum Beispiel in Form von Hinterhof- und Wohnateliers für Schwarzarbeit.

Was sind die Faktoren im Grand-Paris, welche das Aufkommen von Miethaien fördern?

Faktoren, die das Aufkommen von Miethaien fördern, sind vielfältig:

  • Die exorbitanten Mietpreise in Paris fördern die Untervermietung von Hausmädchenzimmern. Diese befinden sich in den letzten Etagen der Gebäude und weisen oft mangelnde Wohnfläche, sowie Sanitäranlagen auf.
  • Die wirtschaftliche Bedeutung vom Grand-Paris als „Jobmotor“ führt zu einer hohen Anfrage auf dem Wohnungsmarkt. Industrie, aber auch die Flughäfen, sowie der Warenumschlagsplatz Rungis benötigen ein hohes Maß an billigen Arbeitskräften. Aber auch Universitäten und Ausbildungsplätze führen zu einer Anfrage vonseiten von Studenten.
  • Prekarität: Die Betroffenen haben oft keine andere Möglichkeit, als auf das Angebot der Miethaie zurückzugreifen. Geringverdiener, Studenten, Familien und Personen mit einem irregulären Aufenthaltsstatus sind besonders betroffen.
  • Mangelnde Kontrolle: Skrupellose Vermieter, welche sich ihre Mieteinnahmen in Bar aushändigen lassen, sind oft schwer zurückzuverfolgen. Im Falle eines Gerichtsurteils kann es passieren, dass der Angeklagte weder auftaucht noch vertreten wird. Das Kontrollieren der Wohneinheiten kann sich außerdem als schwierig erweisen. Oft stehen die Betroffenen in einer misstrauischen Beziehung zu den Behörden. Außerdem ist die sofortige Bereitstellung einer würdevollen Unterkunft eine Belastung für die Kommunen.
  • Gebiete mit alten baufälligen Gebäuden: Sie bieten den Nährboden für die Miethaie. Oft in abgelegenen Orten vom letzten Stock im Zentrum der Stadt zu verwahrlosten Einzelhäusern und Plattenbauten in den Siedlungen der Peripherie.
  • Bevölkerungsdichte ärmere Kommunen: Sie ermöglichen es den Miethaien unentdeckt zu agieren. Oft deckt sich die Nachfrage mit den Profil- und Gebietstypen. Den einkommensschwachen Kommunen fehlen dabei oft die Gelder, um die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu überwachen.

Das Grand-Paris und der Wohnungsbedarf

Elendswohnung oder Mietobjekt? Miethaie vermieten alles

Der unsachgemäße Zustand einer Wohneinheit kann vielfältige Formen annehmen.

  • Gesundheit und Sicherheit des Gebäudes (Struktur, Brandschutz, Verkabelung, Abdichtung und Wärmedämmung)
  • Spezifische Gesundheits- und Sicherheitsrisiken (Blei-, Asbest-, Strom- oder Gasnetz…)
  • Gebietsspezifische Verortung (ungeeignete Lage in z.B. der Nähe von Industrie- und Lärmzonen, sowie Abfalldeponien, verseuchte Grundböden, kann jedoch auch die Lage im letzten Stockwerk ohne Aufzug betreffen)
  • Gemeinschaftliche Ausstattung (Abfall- und Abwasser-Evakuierungssysteme und -Verbindungen, aber auch z.B. funktionierende Fahrstühle)
  • Nutzung und Instandhaltung der Räumlichkeiten (schädliche Aktivitäten, Sauberkeit, leichte Instandhaltung, Anwesenheit von Insekten, Nagetieren, aber auch Pilzen und anderen gesundheitsschädlichen Verunreinigungen)
  • Kein aufgeführter Eigentümer (stille Besetzungen sowie Übernahmen von leerstehenden Wohnungen zu kommerziellen Zwecken)
Eine Straßenkreuzung am Hang des Montmartre im 18. Bezirk von Paris. Keine 200 Meter entfernt, versteckt im letzten Stockwerk eines haussmannischen Gebäudes, mehrere Elendswohnungen. Die Betroffenen, oft nur temporäre Stadtbewohner: Studenten und Wanderarbeiter schweigen. Die teuren Preise und geringe Wohnfläche werden in Kauf genommen. Der allgemeine Mangel an erschwinglichem und würdevollen Wohnraum verstärkt die Gewinnrendite mit den Bedienstetenzimmern für Miethaie. (Urbanauth / VGO / 2020)

Räumliche Unterscheidungen: In welchen Gewässern schwimmen die Miethaie des Grand-Paris?

Um das Problem der französischen Miethaie in seiner Gesamtheit zu verstehen, gilt es sich der verschiedenen räumlichen Gegebenheiten bewusst zu werden. Elendswohnungen manifestieren sich in Clustern und besitzen eine ihrer Umgebung angepasste Erscheinungsform. Diese können sein:

  • Der Nischenwohnungsmarkt mit den Hausmädchenzimmern: Bekannt unter dem Namen „Chambres de bonnes“ sind diese ehemaligen Bedienstetenzimmer zu einer Goldgrube für skrupellose Vermieter geworden. Dies betrifft vor allem extrem bevölkerungsdichte Zonen mit alten hochstöckigen Gebäuden. Ohne Sanitäranlagen und auf engstem Raum teilen sich die Bewohner die Toiletten auf dem Flur. Dies betrifft vor allem Studenten und Wanderarbeiter.
  • Baufällige Einzelhäuser: Diese werden oft in mehrere Wohneinheiten aufgeteilt und gestückelt vermietet. In einem schlechten Bauzustand und aufgrund mangelnder Instandhaltung stellen sie eine Gefahr für das Wohlergehen der Bewohner dar. Sie können auch die Form von Räumen einnehmen, in denen Matratzen auf 24-Stunden Basis vermietet werden.
  • Aufteilung von Wohnungseinheiten: In gewissen Wohnanlagen mit hohen Hauskosten und einer starken Prekarität, werden Wohnungen in mehrere z.B.15 Quadratmeter große Flächen aufgeteilt und zu überteuerten Preisen vermietet.
Hinter dem Autobahnring an der „Porte de la Villette“ im 19. Bezirk von Paris, liegt der Vorort Aubervilliers. Mit seiner veralteten Infrastruktur, ehemaligen Industriezonen und baufälligen Gebäuden, versprechen Elendswohnungen Nähe zur Hauptstadt. (Urbanauth / VGO / 2020)

Potenzielle Problemzonen ausmachen

Wenn du einen Miethai im Grand-Paris jagen würdest; wo würdest du dich auf die Lauer legen?

Dort wo es eine Elendswohnung gibt, liegt die Nächste schon um die Ecke. Denn Miethaie kommen nicht allein und sie investieren lokal. Schnell können sich dabei ganze Straßen und sogar Stadtviertel in Clustern an Elendswohnungen verwandeln (vgl. Weekly Urbanauth / Stadtviertel Saint-Jacques in Perpignan). Um Problemzonen in Siedlungen auszumachen werden folgende Kriterien genutzt:

  • eine hohe Zahl potenziell baufälliger Einfamilienhäuser,
  • eine große Zahl von Wohneinheiten, die im Zuge der Umstrukturierung bestehender Gebäude entstanden sind
  • ein Transaktionspreis für Einfamilienhäuser, der unter dem Durchschnitt des Departements liegt.

Welche Maßnahmen gegen unwürdige Wohnungen?

In Frankreich wurde mit den Gesetzen der „Loi Carrez“ und „Loi Boutin“ versucht den Mietmarkt zu regulieren. Mindesthöhe von 1,80 Meter und einer festgelegten Minimumwohnfläche. Diese beträgt 8 Quadratmeter. Treppenstufen, Fenstersimse und Kellerräume werden aber nicht mitgezählt. Jahre später sieht die Situation nicht besser aus. Der Markt mit den Mini-Zimmern floriert anhand von Airbnb und Kleinanzeigen.

In manchen Kommunen von Frankreich wurde ein „Vermieter-Führerschein“ eingeführt, um den Mietmarkt besser beaufsichtigen zu können. Darunter: Aubervilliers, Saint-Ouen und Saint-Denis. Aber auch Marseille mit seinen alten Wohnhäusern hat sich dieser Initiative angeschlossen. Außerdem wurden in dem Aktionsplan gegen die territorialen Ungleichheiten der nördlichen Banlieues von Paris 2019 mehr Mittel zur Kontrolle von Mietobjekten versprochen.

Auch der Bedarf einer Genehmigung zum Ausbau oder der Teilung einer Wohnfläche, soll helfen das Phänomen zu unterbinden. Ohne Kontrolle erweisen sich diese Maßnahmen jedoch als mangelhaft.

Oft bleibt es den Bürgermeistern der Kommunen überlassen mit dem Problem fertig zu werden. Doch auch die Kontaktaufnahme zu den Miethaien gestaltet sich als problematisch. Als letztes Mittel können die Beamten jedoch ein Gerichtsverfahren anstreben. Den Miethaien drohen dabei empfindliche Geld- und Gefängnisstrafen. Das Problem verweilt jedoch bei der Gerichtsbarkeit, Durchsetzung und Mieterschutz.

Im Grand-Paris, da schwimmen die Miethaie zu Hunderten

Saint-Ouen ist eine nördlich an Paris grenzende Kommune. Bekannt und beliebt für seinen „marché-aux-puces“, einem originellen Flohmarkt am Rande der Ringautobahn. Zwischen sozialen Brennpunkten und alternden Häusern: skrupellose Vermieter schaffen es oft unter der Hand zu vermieten. In dieser Banlieue und ehemaligen Industrieort, wo es viele Arbeiterbaracken gab, finden sich gute Bedingungen für Miethaie. Dies kann bisweilen katastrophale Auswirkungen haben, wie regelmäßige Brände aber auch Häusereinstürze aufzeigen. (Urbanauth / VGO / 2020)

Unsere Jagd beginnt in der Hauptstadt selbst

Würdest du für diese Aussicht in einem sechs Quadratmeter Zimmer wohnen? Der Blick aus einer Elendswohnung von Montmartre im 18. Bezirk von Paris. Die klassischen Häuserdächer im Vordergrund grenzen sich in der Dämmerung von Wohnhaustürmen der Cité Riquet im 19. Bezirk ab. Das im Norden von Paris gelegene Montmarte, besitzt einen hohen, potenziellen Bestand an Elendswohnugen. (Urbanauth / VGO / 2019)

Der zwielichtige Wohnungsmarkt mit den „chambres de bonnes“, den Hausmädchenzimmern in den letzten Stockwerken der Gebäude, hat eine eigene Nische an Vermietung geschaffen.

Urbanauth konnte einen solchen Bestand an Wohnungen im 16. und 18. Bezirk von Paris feststellen. Auf der Schattenseite des Sacre Coeurs und den Hängen von Montmartre verbergen die Bedienstetenzimmer prekäre Lebenszustände. Mit weniger als sechs Quadratmetern Wohnfläche bleibt als einziges oft nur der Ausblick aus dem Fenster. Für alles andere müssen Einbußen in Kauf genommen werden.

Der Skandal von Neuilly-sur-Seine:
Gierige
Miethaie und die Bedienstetenzimmer

In einem ähnlichen Kontext deckte die Zeitung Liberation Anfang 2020 ein riesiges Netzwerk von 120 Bedienstetenzimmern in den letzten Stockwerken, der größten privaten Wohnungseigentumsanlage von Neuilly-sur-Seine auf. Diese sehr betuchte Banlieue im Westen von Paris, ist dafür bekannt auf kommunaler Ebene Strafgelder zu zahlen, um die Quotas des sozialen Wohnungsbaus zu umgehen. In direkter Nähe zum Finanzsektor von La Defense, die reichste Stadt Frankreichs.

Auch im reichen Vorort von Neuilly Sur Seine findet man Miethaie. (Foto: Urbanauth / VGO / 2019)

Das Grand-Paris und seine Miethaie: Egal ob in armen oder reichen Kommunen. Sie sind überall.

Zweifelhaften Vermietungen der Zimmer im siebten Stock der Residenz Saint-James führten dabei zu Spannungen. Die illegale Anbringung von zusätzlichen Sanitäranlagen hatten zu einem Wasserschaden bei den Besitzern der unteren Wohnung geführt. Die Journalisten deckten dabei hinter den Türen des gepflegten Flures unmenschliche Zustände auf.

So hatte ein Mieter 2019 vor Gericht einen Mietvertrag eingeklagt, nachdem er bereits seit 18 Jahren unangemeldet in dem Zimmer gewohnt hatte. Eine andere Szene erweckte den Eindruck von Zeiten der beginnenden Industrialisierung, mit Personen welche sich schichtweise Räume teilten.

Die Bewohner haben meistens nicht die Wahl umzuziehen. Sie sind auf die niedrigen Mieten angewiesen, die zwischen 190 und 600 € angesiedelt sind. Solche Miethaie, welche aus Profitgier jeden Quadratmeter rentabilisieren, tragen als Vermieter einen wichtigen Teil zur Prekarisierung einer Bevölkerungsschicht bei, der die finanziellen Mittel fehlen, sich einen zum Leben angemessenen Wohnraum leisten zu können.

Vor der Existenz des Grand-Paris gab es bereits Miethaie in Grigny

Grigny2 das urbanistische Monster aus der Essonne (91)

Es ist das Jahr 2007. Zwei Jahre vor der Bekanntgabe der Pläne des Grand-Paris, doch die Miethaie hatten bereits in Grigny und Umgebung Fuß gefasst. (Foto: Poudou99 / CC-BY-SA-3.0 / via Wikimedia Commons)

Grigny ist eine der ärmsten Kommunen von Frankreich. Mit fünf Quadratkilometern Fläche und einer Bevölkerungsdichte von 5000 Einwohner pro km², beherbergt diese Kommune des Departements der Essonne (91) ein urbanistisches Monster.

Grigny2 ist der Name einer privaten Wohnanlage im Zentrum von Grigny. Das ebenfalls prekarisierte Viertel der „Grand Borne“ grenzt direkt an. Mit seinen 17.000 Bewohnern ist Grigny2; ein extrem kompakter Wohnraum.

1969 aus dem Boden gestampft, sollten die 5000 Wohnungen für die gehobenen Bediensteten der Flughäfen und -gesellschaften dienen. Die Pläne für eine der größten privaten Wohnanlagen schlug fehl. Als Privateigentumsanlage gedacht, begannen ärmere Bevölkerungsteile Wohnungen zu kaufen und Miteigentümer zu werden.

Doch die hohen Hauskosten begannen den Eigentümern schnell zur Last zu fallen. Die unbezahlten Beiträge und Mietrückstände einer fragilen Bevölkerung führten dabei zu einer hohen Verschuldung der Wohnanlage. Mietausfälle führten zur Aufgabe von Immobilien und Leerstand. Die Instandhaltung stagnierte und führte zur Verwahrlosung der umliegenden öffentlichen und privaten Flächen. Grigny 2 befand sich im freien Fall.

Der Wandel vollzog sich der Zeitung LeParisien zufolge dabei in mehreren Etappen. Eine erste Prekarisierung des Wohnviertels geschah mit dem Verkauf der Wohnungen in 1980. Knapp zehn Jahre nach seiner Fertigstellung.

Das Grand-Paris und seine Miethaie: am untersten Teil der Leiter angekommen

Stadtviertel La Grande Borne in Grigny. Der Ort ist der Platz de la Treile. Blauer Himme. Alte Aufnahme.
Diese Aufnahme aus 2007 – Place de la Treille im Stadtviertel der Grande Borne. Dieses grenzt direkt an Grigny-Centre. Die Häuser haben sich im Vergleich zu aktuellen Google Streetview Aufnahmen nicht wesentlich verändert. (Foto: Nioux / CC-BY-SA-3.0 / via Wikimedia Commons)

In den Jahren nach dem Millennium berichtet die Zeitung Libération von einem ersten Auftreten des Phänomens der Miethaie. Die Anlage verwahrlost. Zu groß, beginnen Teile leer zustehen. Sie ereilt damit ein ähnliches Schicksal wie Bauten in Hannover oder Neapel. Stille Besetzungen und Wohnungsübernahmen führten zum Beginn eines unregulierten Schattenwohnmarktes.

Dem letzten Bericht des französischen Rechnungshofes zufolge ist Grigny eine der ärmsten Kommunen von Frankreich. In 2015, betrug die Arbeitslosigkeit dort 24 %. Der Prozentsatz der Bevölkerung welche in Armut lebt, lag dabei bei 45 %. Allein erziehende Eltern mit einem schwachen Steueraufkommen finden sich dabei einer strukturell benachteiligten Umgebung ausgesetzt.

2007 folgte dann eine weitere Destabilisierung der Lage durch die Wirtschaftskrise. Der Nährboden für skrupellose Miethaie konnte nicht fruchtbarer sein. Zumal 2005 die urbanen Ausschreitungen den Blick auf andere gesellschaftliche Probleme ausrichteten.

Das staatliche Medium France 3 hatte zu Beginn von 2019 den Bürgermeister Philippe Rio (PCF) in der Wohnanlage angetroffen. Dieser schätzte den Anteil der von den Miethaien besessenen Elendswohnungen auf zehn Prozent. Obwohl exakte Zahlen schwierig zu nennen sind, betrifft dies potenziell 500 Wohneinheiten von Grigny 2. Der Bürgermeister heißt dabei das administrative Werkzeug des „Vermieter-Führerscheins“ willkommen. Auch die Gerichte von Evry-Courcouronnes, Bobigny und Cergy nehmen sich immer mehr Fälle von Miethaien an.

Ein Jahr nach dem Interview wurde ein Ingenieur aus Grenoble zu einer einjährigen Haft- und 30.000 Euro Geldstrafe in Abwesenheit verurteilt. Er hat eine Wohnung in zwei 15 Quadratmeter-Einheiten geteilt und an bedürftige Frauen vermietet. Dies berichtete die Nachrichtenseite ActuEsonne.

Wenige Monate zuvor wurde eine Frau verurteilt. Tätig im Finanzbereich, hatte sie eine Wohnung halbiert und in zehn Quadratmeter Stücke geteilt. Für Preise zwischen 400 und 500 Euro pro Monat, erhoffte sie sich gute Einnahmen.

Das Grand-Paris und seine französischen Miethaie unterscheiden sich von denen in Berlin

Was für Unterschiede gibt es zu Deutschland?

Auch wenn das Phänomen der Miethaie sich in Deutschland hauptsächlich auf Immobiliengroßkonzerne und deren Geschäftspraktiken bezieht (in gewissem Maße „Corporate Miethaie), gibt es auch in Deutschland Einzelpersonen, welche aus dem Wohnungsmarkt Rendite schlagen wollen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen „Corporate Miethai“ und „Elends-Mithai“ liegt in seiner Beziehung zur Gentrifizierung. Die Corporate-Deutung des Begriffes macht den Miethai für ebendiesen Vorgang verantwortlich. Er steht auch deutlich mehr in Verbindung zum Thema Wohnraum als ein finanzielles Wertobjekt. Die Projektion der Miethaie in Städten wie Berlin vollzieht sich auf die Großkonzerne: Deutsche Wohnen, Vonovia, aber auch die Samwer-Brüder.

Ihnen wird vorgeworfen, wahlweise durch Leerstand oder Renovierungsmaßnahmen die Mietpreise in die Höhe zu treiben. Thematiken wie der Erhalt der sozialen Vielfalt des Stadtviertels mit Milieuschutzgebieten und die Infragestellung des gesellschaftlichen Platzes der Immobilienkonzerne, spielen eine zunehmende Rolle. Außerdem werden regelmäßig Forderungen zur Ausübung des städtischen Vorkaufrechtes durch die Stadt laut gemacht.

Grand-Paris: Miethaie tun der Gesellschaft keinen Gefallen

Im behandelten Fall von Frankreich ist es umgekehrt. Im Grand-Paris ist der Miethai eine Begleiterscheinung der aktuellen Gentrifizierung und bestehenden, urbanen Segregation. Er schwimmt sozusagen mit den exorbitanten Wohnkosten und antwortet auf die Nachfrage spezifischer Zielgruppen.

Der treibende Faktor von den französischen (und deutschen) Miethaien ist somit der erhitzte Wohnungsmarkt. Dieser verspricht Renditen. Doch die Umsetzung geschieht auf gänzlich andere Weise. Während die Gentrifizierung von Stadtteilen in Paris die Preise der Bedienstetenzimmer steigen lässt, führt die urbane Segregation zu einer Verdichtung an Prekarität in der urbanen Peripherie.

Diese Art von Miethaien unterscheidet sich also von der zurzeit gängigen, deutschen Bedeutung. Ein möglicher Grund für das Fehlen der Begriffsdefinition, ist aus urbanistischer Sicht, im Nachkriegsdeutschland zu finden. Durch den Wiederaufbau wurden die Gebäude nach moderneren Standards errichtet. Deutsche Häuser sind somit in ihrer Bausubstanz zumeist jünger und in besserem Zustand. Auch fällt die Fraktur, welche durch das Mobilitätsangebot diktiert wird, deutlich geringer in Berlin als im Großraum vom Grand-Paris aus.

Die urbane Segregation mit den Banlieues sowie der ländlichen Peripherie von Frankreich unterscheidet sich ebenfalls stark von seinem deutschen Nachbarn. In Deutschland sind Städte sozial differenzierter. Sozialwohnungen befinden sich im Besitz der Städte und werden über diese verteilt. Dies trifft auf die französische Realität der zurückgelassenen und ausgegrenzten Plattenbausiedlungen. Dennoch, durch die Gentrifizierung der Großstädte vorangetrieben, verbreiten sich auch in Deutschland zwielichtige Praktiken auf dem Wohnungsmarkt. Plattformen wie AirBnb und Kleinanzeigen mit verheißungsvoll niedrigen Mieten kursieren auch bei uns.

Nicht im Grand-Paris: das Wahrzeichen von Köln, der Kölner Dom. Auch hier gibt es skrupellose Miethaie. (Foto: Urbanauth / VGO ( 2020)

Nicht nur im Grand-Paris gibt es Miethaie

Kölsche Anekdote: Auch im Rhein schwimmen (Miet-) Haie

Eine kleine Anekdote zu meiner Zeit in Köln: Damals auf Wohnungssuche besichtigte ich eine „Wohngemeinschaft“ im angesagten Agnesviertel. Im Süden von Köln an der links-rheinischen Seite gelegen, zieht dieses Stadtviertel viele Schauspieler an. Unweit, auf der anderen Seite des Flusses gelegen, in Deutz thront der Hauptsitz der Mediengruppe RTL neben den Ausstellungshallen der Messe von Köln.

An der Straße angekommen, vorbei an den charmanten Bars, wo Personen Sprizz und Weißweinschorlen trinken, hin zu einem unscheinbaren Hauseingang. Du wirst von deiner „Mitbewohnerin“ und ihrer Mutter empfangen. Am Ende eines kleinen Flurs des Wohnungseinganges erwarten dich die Küche und das Bad. Du wirst in ein großes Zimmer geführt. Es ist das Zimmer deiner Mitbewohnerin. Überraschung: deines grenzt direkt daneben an, ohne separaten Zugang. Mit acht Quadratmetern, einem kleinen Fenster und stolzen 400 Euro Miete.
Auch in Deutschland gibt es Sie. Denn wo Wohnen Gold ist, da sind die Miethaie nicht weit. Damals war ich mit fassungslosem Gesichtsausdruck schneller aus der Wohnung verschwunden, als die Personen mir ihr Leben erzählen konnten. Ich hatte zum Glück die Möglichkeit Nein zu sagen. Dennoch habe ich mich immer gefragt, ob jemand auf dieses Angebot eingegangen ist.

Wie waren deine Erfahrungen mit Vermietern und dubiosen Wohnangeboten? Schreib deine Meinung in die Kommentare

Anmerkung: Das Phänomen der Miethaie im Sinne von kriminellen Einzelpersonen ist im frankofonen und anglofonen Sprachbereich verbreitet. Die sinngemäße Übersetzung von einigen Wörtern ist nur schwer möglich, da sie an andere Konzepte knüpfen (Randerscheinung der Gentrifizierung, während dies in Deutschland treibende Kräfte ebendieser sind).

Original-WortAproximitatife ÜbersetzungBeschreibung
Marchands de sommeilMiethaieWortwörtlich übersetzt: „Schlafhändler“. Als solche werden die Vermieter des dubiosen Wohnangebots bezeichnet. Oft ist es schwierig diese zur Rechenschaft zu ziehen.
Grand-ParisGrand-ParisDas Grand-Paris beschreibt den Ballungsraum von Paris, sowie den angrezenden Departements („La petite couronne“). Man spricht von ungefähr sieben Millionen Menschen, welche in diesem Einzugsgebiet wohnen.
DepartementDepartementSie entsprechen deutschen Bundesländern, sind jedoch in ihrer Anzahl deutlich mehr.
Stadtentwicklung München : Das Kreativquartier

Stadtentwicklung München : Das Kreativquartier

Stadtentwicklung München: Man will sich Hip. Man will sich kreativ. Und man hat einen großen Wohnungsmangel. Zeit, dass sich was ändert? Mit dem Kreativquartier wagt sich Bayerns Hauptstadt in einen neuen Urbanismus und legt die Messlatte hoch für Deutschland.

„Wohnen, Arbeiten sowie Kultur, Kunst und Wissen vereinen“.

Ist die Zeit für einen neuen „Urbanismus“ in der Stadtentwicklung von München gekommen?

Auf dem Gelände, dass die lokale Kunst- und Kulturszene von München beherbergt, kommt ein Kreativquartier. In Sachen Stadtentwicklung soll die Geschichte des Ortes mit der Gegenwart verknüpft werden. Und das 20 Hektar große Areal verspricht einiges an Potenzial.

Ganze 15 Jahre reifte die Idee ein kreatives Quartier auf dem ehemaligen Gebiet der Luitpoldkasernen und Umfeld zu errichten. Als Mischnutzung vorgesehen, soll es dabei Wohnen, Arbeit, Kunst, Kultur und Innovation vereinen. Das Kreativquartier soll dabei aus vier verschiedenen Raumunterteilungen bestehen: Kreativfeld, Kreativlabor, Kreativpark und Kreativplattform.

Im Mai 2019 wurde ein weiterer Meilenstein gelegt: Der Bebauungsplan für die zwei Südlichen von insgesamt vier Teilquartieren wurde ausgesprochen. Für die Flächen des zukünftigen Kreativpark sowie der Kreativplattform geht es nun in die nächste Etappe. Von dem zukünftigen Kreativquartier kann man viel erwarten. Doch auch geschichtlich hat das Gelände einiges zu bieten.

Stadtentwicklung in München : Von den Rüstungsfabriken zum Kreativquartier

München : Blick auf die Schwerer-Reiter Straße und die Prinz-Luitpold Kaserne im Norden um 1900. (Urbanauth / Public Domain)

Das International Munich Art Lab hat 2018 eine Ausstellung „Von der Waffenschmiede zum Kunstareal“ organisiert, in welcher Sie der Vergangenheit des zukünftigen Kreativquartieres auf die Spur gehen.

Auf einem Teil des Geländes befanden sich um das Jahr 1900 die Artillerie-Werkstätten von München. Über 1000 Rüstungsarbeiter produzierten dabei während 12-Stunden Schichten Kriegsgüter. Die Anzahl der Arbeiter versechsfachte sich dabei kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Zwischen 1931 und 1944 wurden dort Getriebe für Jagdbomber hergestellt. Die Unternehmen Cyclo sowie Daimler-Benz beuteten dabei Zwangsarbeiter aus. Große Teile des Geländes wurden 1944 von der Royal Air Force zerbombt.

Nach einer Nutzung als Kasernen durch die amerikanischen Allierten, ging das Gelände in die Hand der lokalen Kulturszene über. So beherbergt dieses neben dem berühmten Veranstaltungsort Import & Export auch die Halle 6, sowie das MUCCA, Münchens urbanes Kunst-Museum. Die Kultur auf dem Gelände geht dabei nach wie vor weiter.

Auf der Internetseite Kreativquartier im Prozess wird der Prozess dieser urbanen Entwicklung partizipativ dokumentiert. In einem Online-Archiv können dabei Personen Bilder zum Gelände hochladen. Neben regelmäßigen Veranstaltungen wird auf dem Kreativquartier jeden 2. Donnerstag ein Spaziergang veranstaltet.

K wie Kreativ. Q wie Quartier. Stadtentwicklung in München. Kultur. Innovation. Wohnungen.

Auf einen Sprung in die Halle6 ? – Wohl erstmal noch auf unbefristete Zeit möglich. (Urbanauth / 2019 / München)

Das Wohngebiet auf der Kreativplattform ist als Blockrandbebauung vorgesehen, sodass es im Erdgeschoss Platz für kommerzielle Aktivitäten geben wird, aber ebenso Platz für Kindertagesstätten. Dabei sollen die bestehenden denkmalgeschützten Gebäude renoviert werden und in Einklang zu den Neubauten zeitgenössischer Architektur stehen.

Die Industriedenkmäler der Jutier– und Tonnenhalle, zwei ungefähr 100 Meter lange Betonkonstruktionen aus dem Jahr 1926, sollen vollständig neu instand gesetzt werden. Neben dem Bau einer Tiefgarage sollen vor allem Räume als Kunststätten und zur Kunstschaffung entstehen.

Außerdem hat der Stadtrat Untersuchungen in Auftrag gegeben. Es wird die Möglichkeit untersucht eine Tram-Haltestelle hinzuzufügen, sowie den Verkehrsfluss neu zu ordnen.

Urban und innovativ: Was ist das Munich Urban Colab ?

Kluge Lösungen für die wachsenden Städte der Zukunft entwickeln. Das Kreativquartier wird ein Gründer- und Innovationszentrum bekommen. Mit dem Munich Urban Colab bekommt die Gründer und Start-up Szene einen wertvollen Ort. Außerdem wird damit der IT-Standort München gestärkt.

So soll mit dem „Munich Urban Colab“ ein Gründer- und Innovationszentrum für Smart City Solutions einziehen und München als IT-Standort stärken. Dem Start-Up Portal „Munich Start-Up“ zu Folge soll Munich Urban Colab 2021 eröffnet werden können.

„Das Munich Urban Colab soll neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit ermöglichen. Dabei stehen Lösungen für die Stadt der Zukunft im Fokus. Technologiegetriebene Innovationen in den Bereichen Mobilität, Wohnen und Arbeiten, Künstliche Intelligenz oder Energieversorgung sollen entwickelt und erprobt werden. Dieser Ansatz ist einzigartig und er birgt die Chance, dass München dadurch eine internationale Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Smart-City-Lösungen einnimmt. „

Clemens Baumgärtner / Referent der Stadt München für Arbeit und Wirtschaft

Das Munich Urban Colab soll der Süddeutschen Zeitung zufolge über 250 Start-Ups beherbergen und wird von der Unternehmer TUM betrieben. Die Unternehmer TUM ist das Gründerzentrum der Technischen Universität von München. Durch den Beschluss wird auch ein Baurecht für die Erweiterung der Hochschule ermöglicht. Unter anderem befindet sich die Fakultät für Design bereits an der Lothstraße 17.

Wohnungen. Wohnungen. Und noch mehr Wohnungen.

Ganz schön viel Platz für Wohnungen. Das Areal des zukünftigen Kreativquartier aus der Vogelperspektive. (Foto: Stadt München / Public Domain)

Der Bebauungsplan für das nordöstliche Kreativfeld ist bereits seit 2017 in Kraft. Dieser beinhaltet 385 Wohnungen. Die Kreativplattform wird dabei weitere Wohnflächen beherbergen.

Auf dem neun Hektar großen Areal entstehen 341 Wohnungen durch und für die Stadtwerke München Gmbh (SWM) und Teil ihrer „Ausbauoffensive Werkswohnungen„. In dessen Rahmen wollen die Stadtwerke bis 2030 ganze 2500 Wohnungen für ihre eigenen Mitarbeiter bauen.

Im Mai dieses Jahres zog der Stadtrat dabei nochmal nach. Grünes Licht für zwölf Bauquartiere und 370 Wohnungen. Diesmal auf dem Gebiet des Kreativfeldes. Der Wochenanzeiger München berichtet, dass sich dabei über die Hälfte der Wohnungen in der Hand der städtischen Wohnbaugesellschaft GEWOBAG befinden werden. Dadurch soll bezahlbarer Wohnraum gewährleistet werden. Innovativ: Alle Gebäude müssen in Holzbauweise errichtet werden.

Der Artikel wurde am 14.07.2020 aktualisiert.


Frankreich : Was ist der französische Bebauungsplan (PLU) ?

Frankreich : Was ist der französische Bebauungsplan (PLU) ?

Wir haben uns gefragt: Was ist der französische Bebauungsplan? Auch bekannt als PLU gibt dieser Artikel eine Erläuterung zum „Plan local d’urbanisme“ in Frankreich.

In Frankreich sind die Regeln für die Stadtplanung klar und folgen einer Tradition! So wird der lokale Bebauungsplan (PLU) in einer Kommune erstellt und legt die Regeln für die Stadtplanung fest. Sie dient der Harmonisierung der Stadt und der Gewährleistung der territorialen Kohärenz auf nationaler Ebene. Im Rahmen eines Zusammenschlusses von Gemeinden und damit der interkommunalen Zusammenarbeit wird der PLU durch den PLUi ersetzt. Letztere bündelt die Interessen der verschiedenen Gemeinden, definiert aber auch die Prinzipien der Entwicklung des Territoriums als Ganzes. Das Grand-Paris ist ein gutes Beispiel dafür, ebenso wie der Fall der Plaine Commune-Gruppierung. Letztere genehmigte kürzlich im Februar 2020 ihren PLUi durch den Territorialrat.

Frankreich ist in 13 Regionen unterteilt. Diese wiederum beherbergen 101 Departements, die französischen Bundesgebiete. Eine Stufe darunter befinden sich die Kommunen, welche den deutschen Gemeinden entsprechen. In allen Fällen spricht man dabei von collectivités territoriales„, den Gebietskörperschaften unter der nationalen Ebene. Diese werden im Französischen, als Territorien bzw. Territorium bezeichnet. Die interkommunalen Städteverbunde, welche sich mit einem PLUi organisieren, besitzen dabei einen besonderen (Zwischen-)Status.

Der lokale Bebauungsplan in Frankreich – Was beinhaltet der PLU?

Der lokale Bebauungsplan (PLU) ist ein Stadtplanungsdokument, das auf der Ebene der Gemeindegruppe oder der Kommune ein globales Entwicklungs- und Stadtplanungsprojekt übersetzt und folglich die Regeln für die Entwicklung und Landnutzung festlegt.
Übersetzung des offiziellen Dokumentes zum Urbanismus und den allgemeinen Regeln / Collectivité territoriale françaises

Dies ist also das Dokument, das beim Bau oder baulichen Veränderung eines Gebäudes konsultiert werden muss. Der Bau eines Hauses, einer kleinen Garage oder zusätzliches Stockwerk in der Höhe, erfordert in Frankreich eine Genehmigung durch die Kommunalverwaltung. Der lokale PLU enthält auch einen Abschnitt „Planung und nachhaltigen Entwicklung“. (PADD), welche langfristige Impulse setzt zu wichtigen sozialen und ökologischen Fragen der Kommune. Der Risikopräventionsplan (RPP) einer Gemeinde befindet sich auch im PLU : Es definiert die Landnutzung und regulatorische Bereiche. Unter anderem wird eine Analyse von potenzielle Risiken, denen ein Stück Land ausgesetzt ist, erstellt.

Diese Risiken können vielfältig sein: Lawinengefahr in der alpinen Gegenden, Waldbrände im Fall der Calanques in Marseille, oder Bodeneinsturz-Gefahr wie in Paris, aufgrund der Katakomben und unterirdische Steinbrüche, den „Carrières„.

Sicht auf das neue „Passiv-Haus“Éco- Quartier Clichy-Batignolles / Paris (Urbanauth / VGO / 2020)

Wie werden im französischen Urbanismus die Flächen unterteilt?

Unter anderem teilt der PLU Städte in verschiedene Zonen ein. Insgesamt gibt es nicht weniger als 20 Kategorien, die die Merkmale und den Rahmen der kommunalen Landnutzung bestimmen. So gibt es beispielsweise die Zone A für die Landwirtschaft, die Felder betrifft. Die Zone NA für „zukünftige Urbanisierungszone“ bezieht sich auf Land, das für die Urbanisierung offen ist. Das EU-Abzeichen für Handels-, Handwerks- und Industriegebiete beschreibt ein städtisches Gebiet. Im Gegensatz dazu steht der PTA für „Ecologically Sensitive Natural Area“, der herausragende Naturgebiete kennzeichnet. Diese ökologisch sensiblen Gebiete müssen erheblich geschützt werden, um die biologische Vielfalt zu erhalten.

Wo den lokalen Stadtplan Ihrer Stadt finden?

Der PLU der jeweiligen Gemeinden kann in den entsprechenden Rathäusern sowie online auf der Website der Gemeinde konsultiert werden.

Die Fotos wurden von Vincent für Urbanauth / 2020 aufgenommen.

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