Kunst und Corona – sind das nicht zwei Dinge, die sich nicht vertragen? Kunst braucht schließlich Öffentlichkeit, der Künstler sein Publikum. In Zeiten von Corona bleiben aber die öffentlichen Räume der Städte leer, sind lediglich Passage für durcheilende Passanten.
Corona bedroht den Kunstbetrieb
Für viele, die von Kunst leben, sei es als Musikerin, Theaterintendant, Tänzer, als Schauspielerin, Maler, Kulturvermittlerin, Kunstlehrer oder Galeristin, stellt sich mit dem Verbot von Versammlungen und Veranstaltungen sowie der Schließung öffentlicher Einrichtungen, die Existenzfrage. Selbst die, die Rücklagen haben oder wie Autoren relativ unabhängig davon sind, ihre Werke direkt vor Publikum zu präsentieren, stehen vor dem Problem, dass Konzerte, Vernissagen, Lesungen, Vorträge in Berlin vorerst nicht mehr stattfinden werden. Die für Berlin geltende überarbeitete Eindämmungsverordnung erlaubt zwar ab dem 4. Mai 2020, dass „Museen, Gedenkstätten und ähnliche Kultur- und Bildungseinrichtungen in öffentlicher und privater Trägerschaft“ geöffnet werden dürfen. Geschlossen bleiben hingegen Kinos, Theater und Konzerthäuser. Diese Regelung gilt unabhängig von Größe des Veranstaltungsraumes und der maximal möglichen Zahl an Besuchern. Das kulturelle Leben in der Stadt wird auf unbestimmte Zeit weitgehend stillgelegt. Schauspieler, Musiker, Tänzer: sie alle werden nicht auftreten können und keine Gagen erhalten. Theater- und Kinobetreiber zahlen Miete ohne Einnahmen zu haben.
Die Kunst zieht um: vom öffentlichen in den virtuellen Raum
Eines kann als sicher gelten: Corona wird die Kunstwelt verändern. Auch wenn noch nicht abzusehen ist, welche Auswirkungen die Krise haben wird, ist doch erstens zu vermuten, dass sich Ungleichheiten im Kunstfeld verschärfen werden. Künstler, die international bekannt sind, für Aufritte bereits bis weit ins nächste Jahr hinein gebucht sind sowie bei Agenturen unter Vertrag sind, die sie unterstützen, trotz shut-down präsent zu bleiben, dürften auch weiterhin vin ihrer Kunst leben können. Der in Berlin ansässige Pianist Igor Levit, gibt jeden Abend Hauskonzerte auf Twitter. Damit erreicht er mehr Menschen am Abend als in einen Konzertsaal der Welt passen. So fasst der Große Saal in der Berliner Philharmonie 2.240 Sitzplätze. Das Konzert Levit auf Twitter vom 24.4.2020 haben fast 18.000 Menschen abgerufen. Die namenlose Geigerin hingegen, die sich ihren Lebensunterhalt durch einige wenige Konzerte im Jahr sowie durch Musikunterricht finanziert, hat es schwer, präsent zu bleiben oder sogar ein neues Publikum zu gewinnen. Wenn Konzerte abgesagt, Unterricht nicht mehr statt finden kann, fehlt die Lebensgrundlage. Nicht alle haben das technische Equipment zu Hause oder können es sich leisten, um virtuell Unterricht zu geben oder über soziale Medien eine (neue) Fangemeinde aufzubauen.
Schwieriger ist abzusehen, ob es zweitens im Hinblick auf die Kunstvermittlung zu einer Öffnung oder Schließung des Publikums kommen wird. Derzeit entsteht der Eindruck, dass sich die Möglichkeiten Kunst vom heimischen Sessel aus zu konsumieren, vervielfältigt zu haben. Kunstproduktion und -rezeption wandern von der Bühne und vom Ausstellungsraum ins Netz. Kunst aus aller Welt ist mit einem Mal verfügbar, ohne eine Reise zu planen oder ein Ticket kaufen zu müssen.
Dennoch: Wird die online-Tour zur Ausstellung Six Songs, Swirling Gracefully in the Taut Air auf ContemporaryAnd mit Fotos von Akinbode Akinbiyi im Martin-Gropius-Bau Menschen motivieren, diese auch nach einer Wiedereröffnung zu besuchen? Oder genügt der virtuelle Besuch? Zu beobachten ist jedenfalls, dass es vor allem die etablierten und staatlich-finanzierten Museen sind, die ihr digitales Angebot weiter ausbreiten. Die Schätze des Pergamonmuseums lassen sich bequem am Bildschirm betrachten. Das C/O Berlin hingegen bietet keine digitalen Rundgänge an, bittet aber um Spenden, die den Erhalt sichern sollen.
Spannend wird drittens, ob sich neue Formen der Kunstproduktion und Kommunikation zwischen Künstlerinnen, Publikum, Käufern von Kunst etablieren oder ob die etablierten Formen lediglich ins Netz übertragen werden. So bietet die Alfred-Erhardt-Stiftung auf Instagram Kurzführungen, sog. Videotouren zu der laufenden Ausstellung an.
Die Berlinische Galerie hat einen ‚Virtuellen Videoraum‘ eingerichtet, wo Arbeiten aus aktuellen Ausstellungen gezeigt werden.
Neue Wege geht die Galerie Michael Haas: Nicht nur die Künstler, die die Galerie vertritt, sondern jeder ist eingeladen unter #hifromquarantine das eigene künstlerische Schaffen unter Quarantäne zu dokumentieren, zu diskutieren, zu zeigen. Was davon bleiben wird, sich etablieren wird, ob neue Formate entstehen, die nicht nur die alten ergänzen oder erweitern, sondern eine radikal neue Sicht auf Kunst ermöglichen, bleibt abzuwarten.
Corona als Herausforderung für die Kunst
Die Corona-Krise bedroht die Kunstwelt in ihren jetzigen Formationen. Sie ist aber auch eine Chance, das Verhältnis von Institutionen, Künstlern und Gesellschaft neu zu bestimmen. Neue Formen der Interaktion zwischen Künstlern und Rezipienten werden erprobt, wie das Beispiel von Igor Levit oder der Galerie Michael Haas zeigt. Andere Formate der Kunstvermittlung könnten entwickelt werden, die die Neugier wecken, Kunst in den eigenen Alltag zu integrieren. Und nicht zuletzt fordert die Krise jeden einzelnen von uns auf, über den Wert der Kunst für das Zusammenleben der Menschen nachzudenken. Dann was wäre Berlin ohne die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksweisen, die sich ganz direkt im städtischen Raum, in Parks, auf der Straße sowie in den Arbeitsräumen der Künstler, den Galerien, Theatern, Museen zeigen. Kunst ist so lebendig und vielfältig wie die Menschen, die in einer Stadt leben.