Bei der jährlich stattfindenden „Nuit de la solidarité“ in Paris zwischen Januar und Februar, strömen Ehrenamtliche für eine Nacht aus, um obdachlose Personen zu zählen und so weit wie möglich zu ihrer Lebenssituation zu befragen. Organisiert durch die Stadt und in Partnerschaft mit verschiedenen großen Vereinen geben die Zahlen vor allem Einblicke in die verschiedenen Profile und Zonen der Obdachlosigkeit.
Am 31. Januar 2020 wurden dabei 3552 obdachlose Menschen auf der Straße gezählt.
Am 25. und 26. März 2021 wurden 2829 obdachlose Personen angetroffen. Eine Abnahme von 21 Prozent im Vergleich zum Jahr vor Corona.
2018 ins Leben gerufen, ist die „nuit de la solidarité“ dabei eine der wenigen Referenzen über Obdachlosigkeit in der französischen Hauptstadt und folgt einer Methodologie. Neben der Zählung wird nämlich auch versucht, die Bedürfnisse und Hintergründe der Betroffenen zu verstehen, sowie deren Unterkünfte geografisch festzulegen. Die APUR, Instanz des Pariser Urbanismuses hat ihre Studie zur 2. Nuit de la solidarité (2019) im Dezember veröffentlicht. Urbanauth hat für euch einen Blick hineingeworfen.
3641 Obdachlose wurden 2019 in einer Nacht gezählt
Dabei wurden nicht nur Personen gezählt, die auf der Straße übernachten, sondern auch Orte miteinbezogen, wie Bahn-stationen, einige Parkings, sowie drei separate Orte. So wurden dieses Jahr die sogenannten grünen Lungen der Hauptstadt, der Bois de Boulogne im Westen, sowie der Bois de Vincennes im Osten miteinbezogen, sowie die „Colline“ im Norden. Die Zahlen sind leider nicht definitiv, da die Zählung nur an einem Tag stattfindet. Die Ergebnisse können deshalb variieren und entsprechen nicht der absoluten Zahl obdachloser Menschen. Vor allem aber konnte nur an zugänglichen Orten gezählt werden. Gebiete der Petite Ceinture oder Parkanlagen, Parkings und stillen Besetzungen sind somit nicht inbegriffen. Ebenfalls fallen aus den Zahlen heraus, alle Personen welche „Couchsurfen“ und durch solidarische Netzwerke beherbergt werden.
Außerdem ist zu beachten, dass von den 3600 Gezählten nur 2000 der Fragebogen angeboten wurde. Davon gaben ungefähr die Hälfte der Befragten eine vollständige oder teilweise Antwort.
Der Obdachlosigkeit auf den Grund gehen
Die Studie stellt in erster Linie Geschlecht, Altersspannen und ob die Person einzeln oder in einer Gruppe angetroffen wurde. Auch werden Nebenbeobachtungen hinsichtlich Schwangerschaft, Familien, Kindern und tierischen Begleitern getroffen. Bei den Befragten wurde versucht, die Formen der Obdachlosigkeit zu ermitteln und ihre Lebenssituation zu verstehen.
Gründe für die Obdachlosigkeit sei für die Befragten die Ankunft in der Hauptstadt ohne entsprechende Unterkunft, dem folgen Schicksalsschläge, Trennungen und Räumungen. 14% der Angetroffenen waren Frauen, wobei diese am stärksten in den Altersklassen unter 25 sowie über 55 Jahre vertreten sind. Sie sind es auch, welche in Gruppen übernachten, sowie öfters Schlafplätze wechseln und für welche es am gefährlichsten auf der Straße ist.
Insgesamt sind dabei 36 % der erfassten Personen seit weniger als einem Jahr obdachlos. Mit einem Anteil von 10 % an der Gesamtanzahl gehören Jugendliche (>25 Jahre) dabei vor allem zu einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe. Es sind zugleich diejenigen, welche die Leistungen der Sozialdienste (Notunterkünfte, Sozialleistungen, Begleitung der Sozialarbeiter) am wenigsten kennen sowie ohne eine Unterkunft in Paris ankamen. Aus dieser resultiert eine temporäre Obdachlosigkeit, wobei im 18. Arrondissement am meisten Jugendliche angetroffen wurden. Sie gehören auch zu denjenigen, welche tendenziell keine Gewohnheits-Schlafplätze haben. Im Gegensatz zu denen, welche seit Längerem auf der Straße wohnen.
Eine starke Konzentrierung im Nordosten
Außer von dem 15. Bezirk im Südwesten, fällt beim Blick auf die geografischen Verteilung der Obdachlosigkeit die Konzentrierung der Obdachlosigkeit auf den Nordosten auf. Am stärksten betroffen ist der 18. Bezirk mit 507 Personen welche auf der Straße angetroffen worden sind, davon 105 Bewohner auf der „Colline, einem berüchtigten Hügel am Autobahnverteiler und bekanntes humanitäres Problem. Das Zeltdorf an der Porte de la Chapelle, wo Refugees und Crack-Abhängige konzentriert auf den Braunstreifen neben der Schnellstraße in Zelten hausen, wird regelmäßig geräumt. Zwecks fehlender Maßnahmen in Form einer Unterkunft und Perspektiven siedeln sich jedoch immer wieder neue Personen an. Die Auflösung des Camps der Crack-Süchtigen Obdachlosen im Herbst 2019 hat dabei zu einer Verteilung dieser auf einem größeren Bereich beigetragen. Diese hat Auswirkungen auf die öffentlichen Orte im Norden wie den Canal de l’Ourcq oder den Jardin d’Éole (19.Arr.). 2017 / 2018 existierte außerdem ein riesiges Zeltlager, welches vom Kanal am Quai Valmy bis in die Vororte von Saint Denis reichte, sowie ein Sinti und Roma Camp auf der Petite Ceinture zwischen der Porte Clignancourt und Porte de la Chapelle. Diese beiden räumlichen Besetzungen wurden zwischenzeitlich geräumt und führte möglicherweise zu einer Umverteilung auf den Pariser Norden sowie die angrenzenden Vororte wie Bobigny, Pantin und La Courneuve.
Im Süden an den 18. Bezirk angrenzend befinden sich der 9. und 10. Arrondissement mit einer Zählung von 110 sowie 359 Personen. Dem Folgen der 19. (466), 11. (176), 20. (156) und endet mit dem 12. Bezirk, welches 369 Personen auf der Straße verzeichnete. Letzterer weist dabei 167 zusätzliche Obdachlose vor, welche im Wald von Vincennes eine Unterkunft aufgeschlagen haben. Die Konzentration eines hohen Teiles der Obdachlosigkeit korreliert dabei mit den sogenannten populären Vierteln, welche eine hohe kulturelle Diversität aufweisen, aber auch einen hohen Teil an Sozialwohnungen und Armut. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine Abwanderung aus dem 9. und 10. Bezirk in den Norden zu beobachten.
So nahmen in diesen Vierteln die gezählten Obdachlosen ab, während im 18. und 19. ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. In diesem Bereich wurden vermehrt Gruppen Jugendlicher gezählt, welche in den beiden Gebieten am stärksten repräsentiert sind. Über das Zentrum zum Südwesten nimmt die Masse obdachloser Menschen ab und weist ein gemischtes Personenprofil auf. Das 16. Arrondissement, welches als ein sehr bourgeoiser Bezirk gilt und an den ebenfalls reichen Vorort Boulogne angrenzt. So wurden einige Obdachlose in dem Wald von Boulogne gezählt, wobei diese verglichen zur „Colline“ oder dem Wald von Vincennes jedoch bei weitem geringer ist. Letzterer befindet sich im Osten und grenzt an das 13. Arrondissement an, welches ebenfalls eine gewisse Odachlosigkeit.
Die Achse Nord-Süd zum Westen und dem Gürtel im Zentrum vom 2. bis zum 8. Bezirk fallen dabei durch eine geringe Obdachlosenzahl auf. Diese sind auch sogenannte „Beaux Quartiers“ / die schönen und teuren Viertel. Dies geschieht nicht ohne Beihilfe und so war Urbanauth 2017 Zeuge wie eine Sinti und Roma Unterkunft auf einer ungenutzten Gleisstrecke auf Höhe des Pont Cardinet (17.Arr.) geräumt wurde.
Die Nacht der Solidarität fand am 30. Januar 2020 statt. Man kann sich hier als Freiwilliger anmelden.
04.03.2020 Der Artikel wurde mit den Zahlen von 2020 ergänzt. (FranceBleu)
18.11.2021 Dieser Artikel wurde mit den Zahlen von 2021 ergänzt. (APUR)