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Ist das Kunst oder kann das weg?

Wir kennen sie alle, wir sehen sie alle. In nahezu jeder Stadt findet man Wände, Fassaden, Haltestellen oder Straßenschilder, die mit einem oder mehreren Tags bemalt sind. Das englische Wort „tag“ bedeutet soviel wie „Markierung“ oder „Etikett“ mit denen der ausführende „writer“ seine Unterschrift an einem bestimmten Objekt hinterlässt. Gerne auch mit dem Anspruch einer gewissen Präsenz in der jeweiligen Stadt zu erzeugen. Dementsprechend verwundert es nicht, wenn man unzählige dieser Schriftzüge an ohnehin schon überladenen Häuserwänden sieht. Oftmals handelt es sich nur um Pseudonyme der Künstler. Doch gelegentlich taucht mal ein Wort, ein Zitat oder ein Spruch auf, der zum Nachdenken anregt. Manchmal sind es nur schlichte Symbole mit tieferer Bedeutung.

Allgegenwärtig und trotzdem schön.

Doch viele Menschen ignorieren diese Art der Kommunikation im öffentlichen Raum und sehen darin lediglich eine andere Form von Schmierereien oder Sachbeschädigungen. Ich dagegen sehe in ihnen ein Zeugnis unserer Zeit, in der jeder Menschen mit einem Stift oder Marker seine ganz eigene Nachricht für die Mitmenschen hinterlassen kann. Hier soll mein Artikel ansetzen und so die Leserschaft dazu einladen, sich einen kurzen Moment Zeit für scheinbar alltägliche und unbedeutende Texte zu nehmen. Deshalb habe ich fünf meiner persönlichen Favoriten nach meinen ganz eigenen subjektiven Kriterien ausgewählt:

Das „FAKEFACE“ in Mailand

Mailänder Innenstadt

In der Mailänder Innenstadt, einem Ort an dem Menschen aller Altersgruppen vor dem Dom, dem Castello Sforzesco oder den teuren Designer-Läden der Viktor-Emanuel-Passage stehen und sich selbst fotografieren oder fotografieren lassen, habe ich in einer kleinen Ecke diesen blauen Schriftzug entdeckt. Es entsteht wohl nicht umsonst der Eindruck einer gewissen Ironie, wenn sich die Aufschrift „FAKEFACE“ eben dort befindet, wo sich diverse Leute für ihre Social-Media-Kanäle ablichten lassen und andere gleichzeitig tausende von Euros für Klamotten und Accessoires ausgeben. Man könnte ganz zynisch behaupten, dass sich dort jeder auf seine Weise für das eigene „Fakeface“ bemüht. 

Berliner Schnauze

Die zwei folgenden Beispiele stammen aus dem bekannten Berliner Stadtteil Neukölln. Vor ein paar Jahren noch als No-Go-Area verrufen, siedeln sich dort heute zunehmend junge Menschen an, die sich die Mieten in Friedrichshain oder Kreuzberg nicht mehr leisten können. Es entstehen nach und nach Kieze in denen Migranten, Studierende, Kunstschaffende und Arbeiter*innen zusammen leben. Bei so einem aufstrebenden Bezirk ist man wahrlich nicht überrascht, wenn man erfährt, dass über das gesamte Viertel verteilt ein Kunstfestival namens „48-Stunden-Neukölln“ stattfindet. Hierfür können sich alle Bewohner*innen bewerben und eigene Projekte vorstellen. Der erste Schriftzug stammt von einem dieser Projekte, wobei es allerdings fraglich ist, ob sich hier um eine Idee des Künstlers oder die Aktion eines Besuchers war.

Berlin-Neukölln

„Alle wollen zurück zur Natur, nur nicht zu Fuß“

In Zeiten wo Bewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion einen radikalen Wandel der Klimapolitik fordern, sind Sprüche und Zitate zu diesem Thema stets präsent. Doch nur wenige von ihnen brachten mich bisher so zum schmunzeln und gleichzeitig zum Nachdenken wie dieser hier. Selbstreflexion und Ironie stünden schließlich dem einen oder anderen Menschen hierzulande sicherlich auch ganz gut zu Gesicht.

Übung macht den Meister

Berlin-Neukölln

Dieses Motto nahm sich wohl auch jemand mit einer Spraydose zu Herzen, der ebenfalls in Neukölln unterwegs war. Hierzu bleibt nicht viel zu sagen, außer dass Rot auf Gelb immer eine gute Kombination ist.

Der Klassiker

Gubener Vorstadt, Frankfurt/Oder

Mit diesem Beispiel verbinde ich vor allem persönliche Erinnerungen. Es ist das klassische Anarchie-Zeichen. Üblicherweise zu finden an besetzten Häusern, szenigen Kiezen, Aufklebern, Klamotten oder halt an Stromkästen. Es ist weder außergewöhnlich schön noch besonders einfallsreich. Doch es befand sich über acht Jahre an einem Ort der relativ weit von besetzten Häuser oder szenigen Kiezen entfernt ist. Nämlich in der brandenburgischen Stadt Frankfurt (Oder). Diese Situation steht stellvertretend für die gigantische Prominenz dieses Symbols. Man kann es an nahezu allen Ecken der Welt entdecken. In der Großstadt oder an der Dorfbushaltestellte und so schließlich auch an der ostdeutschen Grenze zu Polen.

Freiheit für die Freifläche

Magdeburg-Buckau

Das letzte Bild zählt eigentlich nicht zur oben aufgestellten Kategorie von Tags, kann aber in diesem Kontext trotzdem genannt werden. Denn Tags kann man ebenfalls in Form von Stencils, also Schablonen, anbringen. Dieses Stencil mit dem bekannten Spartaner aus dem Film „300“ befindet sich in Sachsen-Anhalt. Genauer gesagt im Magdeburger Stadtteil Buckau. In der Stadt an der Elbe gibt es zahlreiche Graffitis und Tags. Darunter auch ganz Besondere.

Vor einigen Jahren war die sogenannte „Freifläche“ noch ein Gelände auf dem sich im Wesentlichen Müll, Schutt, ein paar Gräser und Büsche befanden. Letztere waren regelrecht von Hundehaufen übersät. Doch als sich das Viertel, aufgrund der niedrigen Mieten, zunehmend zu einem Kiez für junge Studierende entwickelte und dementsprechend attraktiver auf dem Wohnungsmarkt wurde, begann die Stadt zeitnah damit, die Fläche zunehmend zu bebauen. Heute befinden sich darauf mehrere Wohnhäuser, eine Kita und Baustellen für neue Projekte. Ob der letzte Spartaner vielleicht deswegen auf der Freifläche angebracht wurde, um sie so vor der ultimativen Bebauung zu schützen? Wer weiß …

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