Neben anderen Energieträgern zur Stromproduktion zählt die Braunkohle in Deutschland zu den wichtigsten. Sie macht, laut den Angaben des deutschen Bundeswirtschaftsministeriums, ungefähr ein Viertel des Gesamtanteils der Stromversorgung aus. Der Wirtschaftswoche zufolge hängen in Deutschland ungefähr 70.000 Arbeitsplätze an dem Abbau und der Verstromung von Braunkohle. Gleichzeitig hat ihr Abbau aber auch verheerende Folgen für die Natur. Am 30.11.2019 setzten sich in Deutschland tausende Klima-Aktivisten gegen eben diesen Braunkohleabbau und für erneuerbare Energien ein.
Das Protestbündnis „Ende Gelände“ rief dazu auf, mehrere Tagebaue im Osten Deutschland mittels Massenprotesten zu blockieren. Die Organisation ist laut eigenen Angaben „ein europaweites Bündnis von Menschen aus vielen verschiedenen sozialen Bewegungen“, das seit dem Jahr 2015 Massenaktionen in deutschen Braunkohlegebieten organisiert.
Neben einem Tagebau in der Nähe von Leipzig, lagen zwei der Protestschwerpunkte in der südbrandenburgischen Provinz, genauer gesagt in der Lausitz. Sie liegt an der östlichen Grenze Deutschlands zu Polen, entlang der Neiße (deutsch-polnischer Grenzfluss) zwischen Berlin und Dresden. Im Fokus der Proteste standen einmal der Tagebau Jänschwalde sowie der Tagebau Welzow-Süd. Die Lausitz ist im Allgemeinen eine strukturschwache Gegend, in der über die letzten Jahrzehnte immer mehr junge Menschen in die Großstadt ziehen, um dort zu studieren oder anderweitig ihr berufliches Glück zu finden. Man könnte sagen, dass die Region langsam aber sicher ausblutet. So sehen das zumindest viele Menschen die in der Lausitz wohnen. Da beide Tagebaue von der LEAG (Lausitz Energie Bergbau AG) betrieben werden und diese somit einen Großteil der regionalen Arbeitsplätze stellt, haben viele Anwohner kein Verständnis für die Proteste gegen die Braunkohle. Die Aktivist*innen stammen in Teilen aus der Region, aber reisten auch zu großen Gruppen aus anderen Orten an. Vor allem aus den nahegelegenen Großstädten wie Berlin, Dresden und Leipzig wurde mobilisiert.
Bereits im Vorfeld gab es Spannungen
Schon vor den eigentlichen Protesten gab es eine verhältnismäßig virale Berichterstattung. Erst mobilisierten Fans des nahegelegenen Fußballvereins FC Energie Cottbus mit Transparenten gegen das Protestbündnis „Ende Gelände“, wie der Tagesspiegel berichtete. Cottbus ist mit circa 100.000 Einwohnern die größte Stadt in der Lausitz. Auch hier hat man mit den genannten Problemen zu kämpfen. Die Fans des Regionalligavereins (4. Liga) sind in der Vergangenheit mehrfach durch rechtsextreme Vorfälle aufgefallen. Mit Sprüchen wie: „Wann Ende im Gelände ist entscheidet nicht ihr! Unsere Heimat – Unsere Zukunft“ oder „Ende Gelände zerschlagen!“ taten die Fans ihren Unmut gegen die Klima-Aktivist*innen kund.
Außerdem kursierte ein Bild in den sozialen Medien, bei dem eine Polizeieinheit vor einer bemalten Wand posierte. Auf die Wand stand in Großbuchtaben „Stoppt Ende Gelände“ geschrieben. Diese politische Positionierung sorgte für eine entsprechende Berichterstattung in diversen Tageszeitungen sowie auf den Social-Media-Plattformen. Hier warf man der Polizei berechtigterweise einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor. Anschließend wurde die Einheit vom Einsatz abgezogen, ein Disziplinarverfahren eingeleitet und die Wand übermalt.
Doch damit war das mediale Feuerwerk keinesfalls gelöscht. Laut dem RBB reichte offenbar die Farbe für das vollständige Übermalen nicht aus und so blieben einige Reste des Schriftzugs an der Wand gut sichtbar stehen. Darunter auch der Hummer, das Wappen der nahe gelegenen Stadt Cottbus, sowie die Buchstaben „DC“ als Abkürzung für „Defend Cottbus“ werden in lokalen rechtsextremen Kreisen Stickermotiv genutzt, um sich so gegen Ausländer und Asylbewerber*innen zu positionieren.
Der frühe Vogel besetzt die Grube
Entsprechend angespannt, aber auch motiviert waren die zahlreichen Demonstrierenden, die bereits zum frühen Morgen mit den ersten Aktionen begannen. Mittels dem Konzept einzelner Finger, also verschiedener Gruppen von Aktivisten, versuchte man logistisch wichtige Punkte für den Betrieb der Tagebauanlagen zu blockieren. Wie die TAZ berichtete, stand schon um 8:00 Uhr die erste Blockade, nachdem ungefähr 500 Aktivisten in weißen Maleranzügen die Abhänge in den Tagebau Jänschwalde herunter rutschten, um die Grube zu besetzen.
Eine Gruppe namens „Anti-Kohle-Kids“ blockierte gemeinsam mit weiteren Personen, darunter geheingeschränkten Menschen, eine Schienenverbindung zum selben Tagebau. Weitere Gleise zum Kraftwerk Jänschwalde wurden ebenfalls von den Klima-Aktivisten blockiert. Circa 400 Menschen vom grünen Finger besetzten dagegen die Grube vom Tagebau Welzow Süd. Diese und andere Aktionen führten dazu, dass die Aktivität des Kraftwerks Jänschwalde runtergefahren werden mussten und Kohlezüge mit verringerter Geschwindigkeit unterwegs waren.
Auch Kohle-Befürworter organisierten Veranstaltungen
Laut dem RBB organisierten einige Befürworter der Tagebaue, darunter das Bündnis „Pro Lausitzer Braunkohle“, ebenfalls Veranstaltungen. Bereits am Freitag fand in dem brandenburger Kraftwerk Schwarze-Pumpe ein Familienfest statt. Ebenfalls am Freitag griff die Polizei, Berichten der TAZ zufolge, acht Personen, vermutlich aus dem rechtsextremen Spektrum, in der Nähe einer Mahnwache von „Ende Gelände“ auf. Sie trugen Axtstiele und Quarzsandhandschuhe mit sich. Einige von ihnen waren bereits wegen rechter Straftaten polizeibekannt. In Jänschwalde hielt man am Samstag zudem eine Mahnwache für den Erhalt der Kraftwerke ab. Gekleidet waren die Teilnehmer*innen in schwarzen Maleranzügen als Antwort auf die weißen und bunten Anzüge der Aktivisten. Auf einem ihren Transparenten stand unter anderem: „Wir lassen die Lausitz nicht ausradieren“.
Die Klima-Aktivist*innen hatten jedoch durchaus Verständnis für die Ängste der Ortsansässigen. So äußerte sich Kaya Fiedel von „Ende Gelände“ während einer Gleisblockade gegenüber dem RBB: „Ich verstehe Menschen in der Lausitz, die Angst um ihre berufliche Zukunft haben und auch die Wut. Ich glaube aber, die Wut richtet sich doch eigentlich eher gegen die Politik, die es Jahrzehnte verschlafen hat, den Strukturwandel ordentlich einzuleiten“.
Mediales Tauziehen
Sowohl in den verschiedenen Nachrichtenportalen als auch in den sozialen Medien kam es vor, während und nach den Protesten zu einem medialen Tauziehen rund um die Inhalte und Ereignisse des Aktionstages. Der Tagesschau zufolge, sorgte eine Blockade der Gleise unmittelbar vor dem Kraftwerk für entsprechende Aufmerksamkeit, da die LEAG auf Twitter von einem Versuch der Demonstranten sprach, das Kraftwerk zu stürmen.
Die Deutsche-Presse-Agentur berichtet davon, dass ungefähr 200 Aktivisten versucht hätten, auf das Gelände des Kraftwerks zu gelangen. Parlamentarische Beobachter von der Linkspartei und den Grünen, die vor Ort waren, widersprachen den Darstellungen und versicherten, dass eine Stürmung des Kraftwerks zu keinem Zeitpunkt geplant war. Auch die LEAG stellte am Sonntag nochmal klar, dass sie wohl lediglich der Eindruck der Demonstranten dazu veranlasst habe, ihre Twitter-Meldung in dieser Form zu verfassen.
Proteste verliefen weitestgehend friedlich
Trotz der angespannten Lage, den politisch gegensätzlichen Standpunkten, den 41 angemeldeten Versammlungen mit bis zu 4000 Teilnehmern und des massiven Polizeiaufgebots von 2700 Beamten verliefen die Proteste weitestgehend friedlich. Zum Abend hin beendeten die Klima-Aktivist*innen ihre Aktionen. Penibel sammelten die Demonstrierenden ihren Müll auf, der während den Blockaden entstand. Anschließend reiste man mit Bussen und Zügen wieder ab.
In einer Pressemitteilung von „Ende Gelände“ spricht man von erfolgreichen Massenaktionen gegen die Klimakriese und für den Kohleausstieg. Der Bündnissprecher Nike Mahlhaus meinte: „Wir sind zufrieden mit der erfolgreichen Aktion und glücklich, dass wir heute ein so starkes Zeichen für Klimagerechtigkeit setzen konnten. 4000 Klimaaktivisten und Aktivistinnen haben heute gemeinsam Kohleinfrastruktur blockiert“ . Er kommentierte außerdem: „Wenn politisch Verantwortliche dabei versagen, das Klima und unsere Lebensgrundlagen zu schützen, dann setzen wir den Kohleausstieg selbst um.“.